Dantes Göttliche Komödie und Goethes Faust: Zwei Einweihungswege

Dante Alighieri (1265-1321) verfasste die Divina Commedia (Göttliche Komödie) ungefähr von 1307 bis kurz vor seinem Tod. Sie schildert aus der Perspektive eines Ich-Erzählers eine Reise durch das Jenseits, angefangen von der Hölle (Inferno), über den Läuterungsbereich (Purgatorio, Fegefeuer), das Irdische Paradies (Garten Eden) bis hin zum Himmlischen Paradies (Paradiso), wo die Seelen der Geretteten ewige Freude erleben. Bis zur Schwelle des Irdischen Paradieses wird Dante vom Dichter Vergil geführt.

Dante schaut auf den Läuterungsberg. Gemälde von Agnolo Bronzino (1530)
Dante schaut auf den Läuterungsberg. Gemälde von Agnolo Bronzino (1530)

Einen sehr hilfreichen Schlüssel zum Verständnis dieses großen Werkes der Weltliteratur legte Martin Zichner mit Die große Lebensspirale. Dantes geistige Botschaft vor. Darin setzt er sie mit Goethes Faust in Beziehung, indem er einerseits Gemeinsamkeiten betont:

  • In beiden Werken geht es um das Streben des Menschen, um den Fall, das Umherirren und Suchen und schließlich seine Läuterung
  • Beide Werke sind von einem zeitlosen Anliegen inspiriert.

Zichner weist allerdings auch auf folgende Unterschiede hin:

  • Zeitlicher Abstand: ein halbes Jahrtausend trennt die beiden Dichtungen
  • So war Goethes Faust von den mächtigen Strömen der Reformation, Renaissance und Aufklärung beeinflusst, die zu Dantes Zeiten noch keine Rolle spielten.

Sehr schön auf den Punkt gebracht finde ich die beiden Wege, die die Autoren wählen, um die Läuterung zu veranschaulichen:

  • Bei Goethe taucht der Leser in ein tatenreiches Menschenleben ein, das zur Ruhe findet, als Faust sich schließlich am Ende seines Lebens noch im Diesseits läutern lässt.
  • Dante hingegen nimmt den Leser mit auf eine Wanderung durch das Jenseits. In den Höllensphären wird das Gesetz von Ursache und Wirkung veranschaulicht.

Auf die Einweihung bezogen, kann man sagen: bei Goethe beginnt die Reise zu einem höheren Bewusstsein „von unten herauf durch das Leben“. Bei Dante ist der Ausgangspunkt die bewusste „Niederfahrt zur Hölle“. Die dort gewonnene Erkenntnis und Kraft ermöglichen erst das Besteigen des Läuterungsberges. Faust arbeitet mit der Magie seines Willens, die durch Erfahrungen nach und nach in die rechten Bahnen gedrängt wird – erst am Ende erlangt er Einsicht und seelisches Gleichgewicht. Dantes Weg hingegen wird von Anfang an durch Einsicht geführt, die ihn durch die Sphären leitet.

Martin Zichner: Die große Lebensspirale

Die Göttliche Komödie: Illustrierte Ausgabe mit über 150 Abbildungen

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