Der Herr der Ringe: Spirituelle Aspekte

Der Herr der Ringe (Lord of the Rings) hat Millionen Fans weltweit begeistert. Ist es mehr als ein spannendes Abenteuer-Spektakel – welche spirituellen Aspekte kann man in der Trilogie entdecken?

Der eine Ring: „Ein Ring, sie zu knechten“

Der eine Ring wird beschrieben mit den Worten:

„Ein Ring sie zu knechten,
sie alle zu finden,
ins Dunkel zu treiben
und ewig zu binden“

Ein Deutungsvorschlag: Die Menschen (auf die anderen Bewohner von Mittelerde gehe ich gleich noch ein) verloren ihre Freiheit, als sie sich aus der Harmonie des Kosmos lösten, um eigenwillige Ziele zu verfolgen. Der kleine Ring ist ein Bild für den Mikrokosmos, den wesentlich größeren Ring, der die Menschen umgibt wie ein Magnetfeld. Dieses System Mensch ist auf (mittel-)irdische Ziele gerichtet, egoistisch, nach Macht und Ruhm strebend. Da der Ring ein Symbol für etwas Unstoffliches ist, ein Seelenfeuer, kann er nicht so einfach zerstört werden – nicht so, wie der Zwerg Gimli es mit seiner Axt versucht (nicht alle Szenen habe ich auf Deutsch gefunden):

Der Ring verkörpert irdisches Machtstreben. Wirkliche Befreiung ist nur möglich, wenn dieses Machtstreben vollkommen aufgegeben wird. Wer den Ring für eigene Zwecke nutzen will, verstrickt sich in das Wechselspiel der irdischen Kräfte und wird daran zugrunde gehen. So geht es Boromir. Er wollte den Ring nicht für sich persönlich, sondern um Gondor zu retten. Doch man kann diese Kräfte nicht „im Guten“ einsetzen.

So ähnlich ist es mit vermeintlich spirituellen / esoterischen / okkulten Wegen, auf denen Menschen versuchen, sich mit ihrem „Höheren Selbst“ (auch „Aurisches Wesen“ genannt) zu vereinigen, um das ganze Potenzial der in ihnen schlummernden Kräfte freizulegen.

Befreiend ist nur die Auflösung dieser irdischen Kräfte durch Läuterung und Reinheit des Herzens. Der Ring kann nur im Feuer des Schicksalsberges zerstört werden. Das Feuer weist auf einen Läuterungsbrand hin und erinnert an die Läuterungsstufen in Dantes Göttlicher Komödie.

Helden und Schurken – die Bewohner von Mittelerde

Ein Schlüssel zum spirituellen Verständnis vieler Werke besteht darin, alle handelnden Personen als Aspekte des eigenen Wesens zu sehen – ganz nach den weisen Worten des alten Goethe:

Nichts ist drinnen, nichts ist draußen;
Denn was innen, das ist außen.

Herr der Ringe: Blutige Schlachten

Aus dieser Perspektive sind die blutigen Schlachten nicht wörtlich zu nehmen. Der Mensch als Mischgefäß, als Sammelbecken von sehr edlen bis zu sehr unedlen Kräften ist Schauplatz der Auseinandersetzungen in ihm. Vergleiche den Beitrag: Nicht nur der Islam: Kampflustige Weltreligionen?

Saruman und die Orks

So kann man den „gefallenen Zauberer“ Saruman als Okkultisten sehen, der gemeinsame Sache mit den dunklen Mächten machen will. Doch auf diesem Weg gibt es letztlich nichts zu gewinnen außer Gefangenschaft und Tod. Die Orks symbolisieren die Anteile in einem selbst, die auf Machtstreben ansprechen. Mag es eine Art „natürlichen“ Machtstrebens geben, so gibt es sicherlich auch übersteigerte Formen – von Menschen geschaffene Machtapparate, in denen man sich nur behaupten kann, indem man seinen Charakter verbiegt. So wie die von Saruman gezüchteten Orks – gewissenlose Kampfmaschinen. Wie sehr auf diesem Weg die natürliche Harmonie aus den Fugen gerät, illustriert die Wut der Bäume.

Gollum / Sméagol

Gollum (Wachsfigur)

Gollum als Wachsfigur; Urheber: Miguel Mendez; Quelle: https://www.flickr.com/photos/flynn_nrg/6344811177/

Gollum repräsentiert das Ego. Durch den (jahrhunderte-) langen Einfuss des Rings ist es völlig degeneriert, nicht mehr zu echter Empathie fähig, hinterlistig und beherrscht vom Überlebenstrieb. Der Name erinnert auffällig an den Golem von Gustav Meyrink. Es gibt Hinweise darauf, dass ein Mensch gut ohne Ego leben kann – zum Beispiel im Abspann des empfehlenswerten Films Revolver. Es nährt sich aus der Urangst vor dem Tod und kennt viele Tricks, um davon abzulenken, dass es keine Substanz hat. Rainald Grebe formulierte in Das psychologische Jahrhundert ist vorbei: „Wir schälen wieder Zwiebeln, aber da ist nun mal kein Kern.“

In den Höhlen von Moria (Khazad-dûm) bedauert Frodo, dass Bilbo die Gelegenheit nicht genutzt hatte, Gollum zu töten. Gandalf erklärt Frodo den Wert von Bilbos Mitleid. (In Englisch ein Wortspiel: What a pity … The pity of Bilbo may rule the fate of many.) Wer nicht in der Lage ist, Tote zum Leben zu erwecken, sollte sich auch kein Todesurteil anmaßen. Gandalf ahnt schon, dass Gollum noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Und so ist es auch: Am Schicksalsberg schafft Frodo es nicht, den Ring loszulassen und ins Feuer zu werfen. Gollum erkämpft sich den Ring ein letztes Mal und stürzt mit ihm ins Feuer. Das (niedere) Ego und das Höhere Selbst, der Ring, werden gleichzeitig aufgelöst.

Für das Ego gilt das gleiche wie für den Ring: Es kann nicht einfach durch einen Entschluss der Persönlichkeit getötet werden – seine Überwindung ist das Werk höherer Kräfte. Es ist gut, zwischen Persönlichkeit und Ego zu unterscheiden. Erstere ist, wenn es gut steht, das Gefäß für die Seele und damit ein Diener.

Gandalf

Der Zauberer Gandalf steht für die Weisheit der Seele. Er weiß, dass ein großer Plan hinter allen Entwicklungen steht und dass jedes Wesen und damit jeder Aspekt des Menschen seine Rolle zu spielen hat. Bezieht man sich auf Goethes Faust („Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“), so steht Gandalf für den edlen Aspekt der Seele, die nach den „Gefilden hoher Ahnen strebt“. Solange die Macht des Rings nicht gebrochen ist, dominiert im Menschen der andere, auf die (Mittel-)Erde gerichtete Seelenaspekt, der sich „in derber Liebeslust mit klammernden Organen“ festhalten will.

So, wie die Persönlichkeit viele Prüfungen zu bestehen hat (will sie die Macht des Ringes missbrauchen?), so wird auch die edle Seele geprüft. Gandalf weiß, dass er den Ring nicht tragen darf – Saruman ist das Symbol für die gefallene Seele. Und Gandalf erfährt eine Läuterung: mit dem Sieg über den Balrog transformiert er sich vom Grauen zum Weißen. In der Alchemie gilt die Weißung als Reinigung, Läuterung – das Weiße ist ein Symbol für die Braut (Seele), die den Bräutigam (Geist) empfängt (vgl. hier mit Bezug zu C. G. Jung). Weiß enthält alle Farben. Der Balrog ist ein Bild für die rohen Urkräfte des Irdischen, ohne jegliche Maske der Kultur.

Herr der Ringe: Die Elben

Die Elben (Elfen) sind helfende Kräfte, die die Menschen auf ihrem Weg unterstützen, aber nicht an die Erde gebunden und damit (prinzipiell) unsterblich sind.

Bilbo, Frodo und die anderen Hobbits

Die Hobbits repräsentieren die menschliche Persönlichkeit. Sie steht zwischen den „niederen“ (mittel-)irdischen Kräften und den „höheren“ Aspekten. Der Ringträger muss ein Hobbit sein: Die Befreiung gelingt nur, wenn die Persönlichkeit sich zu diesem Weg entschließt, eigene Pläne zurückstellt und sich dem erhabenen Ziel unterordnet. Die Seele kann als unstoffliche Struktur nicht ohne die Hilfe der Persönlichkeit handeln.

Frodo trägt aus einer Begegnung mit einem schwarzen Reiter auf der Wetterspitze eine nicht heilende Wunde davon. Er ist ein Gezeichneter (das erinnert an Hermann Hesses Demian), der sich in Mittelerde nie mehr ganz zu Hause fühlen kann:

Wie knüpft man an an ein früheres Leben? Wie macht man weiter, wenn man tief im Herzen zu verstehen beginnt, dass man nicht mehr zurück kann? Manche Dinge kann auch die Zeit nicht heilen, manchen Schmerz, der zu tief sitzt und einen fest umklammert.

Das gilt nicht für seine Hobbit-Gefährten, die nach bestandenen Abenteuern gern Familien gründen und ein gemütliches Hobbit-Leben führen. Der Abschied steht an – die höheren, unsterblichen Aspekte (Gandalf, die Elben, Frodo und auch Bilbo) verlassen das (mittel-)irdische Lebensfeld.

Bilbo erinnert an Papageno aus der Zauberflöte: Papageno, die irdische Seele („in derber Liebeslust“) sehnt sich auch in den ernsten Prüfungen auf dem Einweihungsweg nach einer Liebespartnerin. Bilbo wünscht sich am Ende, nachdem der Ring glücklich vernichtet und alle Abenteuer bestanden wurden, noch ein Mal den Ring zu tragen …

Herr der Ringe: Neun Gefährten und neun Ringgeister

Ist es Zufall, dass die Ringgemeinschaft gerade aus neun Gefährten besteht? Aus gnostischer Sicht gilt neun als die Zahl des Menschen. Die drei Aspekte Geist, Seele und Körper werden dabei jeweils in drei Ansichten beschrieben, wobei die Impulse jeweils vom Geist- über den Seelenaspekt an die Körpergestalt weitergegeben werden**:

  1. Göttlicher Geist: Träger des Gottesplans -> wirkt auf die Verstandesseele -> diese wirkt auf das Denkvermögen, die erste Ansicht der Körpergestalt
  2. Lebensgeist: Erklärer des Gottesplans -> wirkt auf die Empfindungsseele -> diese gibt ihre Impulse an den Empfindungskörper weiter
  3. Menschlicher Geist: Ausführender des Gottesplans -> wirkt auf die Bewusstseinsseele -> diese gibt ihre Impulse an den physischen Körper weiter

Den neun Gefährten der Ringgemeinschaft stehen die neun Ringgeister (Nazgûl) entgegen, die anfangs als Schwarze Reiter auftreten, später ritten sie geflügelte Untiere. Sie waren ursprünglich Menschen, die von Sauron Ringe erhielten und der Machtgier erlagen. Ihre stärkste Waffe ist die Angst ihrer Gegner.

Dieser Kontrast aus edlen und gefallenen Aspekten des Menschen erinnert an Schillers Worte:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!

Alles ohne Gewähr … Anmerkungen willkommen!

Herr der Ringe: Blue-ray oder DVD

** Siehe: Elementare Philosophie des modernen Rosenkreuzes (Eckstein-Reihe)

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