Überall Risse: Leonard Cohen antwortet Funny van Dannen

Ist das Leben nicht ein Elend? Marc-Uwe Kling sagt zwar „Viel Schönes dabei“ – aber so insgesamt? Wer hohen Idealen nachstrebt, wird zwangsläufig enttäuscht. Funny van Dannen bringt es auf den Punkt, er ist „So enttäuscht vom Leben“ (aus dem Album Groooveman, 2002).

„Das ist doch schon von Anfang an irgendwie total daneben.

Und dann heißt es: Aber die Schönheit, ja die Schönheit ist wirklich schön,
doch sogar die schönste Schönheit kann auf die Nerven geh’n.“

Auch Persönlichkeitsentfaltung ist keine Lösung:

„Genauso Kreativität, Persönlichkeitsentfaltung,
egal, im Endeffekt dient alles nur der Arterhaltung.
Es ist alles nur Überlebenskampf, das Niveau kann niemand heben.“

Die tiefste Sehnsucht bleibt hier unerfüllt:

„So als wäre das Leben ein Fernsehprogramm: täglich live und spannend und neu.
Und ich zappe weiter und rufe: Mutti, mein Film ist nicht dabei.“

Enttäuschung, spirituell betrachtet

Muss man an dieser Erkenntnis verzweifeln? Aus spiritueller Sicht hat Enttäuschung eine sehr positive Seite: Ent-Täuschung bedeutet, von einer Täuschung befreit zu werden, sie hinter sich zu lassen. Die Täuschung besteht darin, dauerhaftes Glück in einer vergänglichen Welt zu suchen. Wie Eckhart Tolle mal formulierte: Könnte die Welt sprechen, so würde sie sagen: Es tut mir leid, das kann ich Dir einfach nicht geben.

Obwohl wir ihn nicht direkt danach gefragt haben, hat Leonard Cohen Funny van Dannen geantwortet (ok, die Antwort kam sogar 10 Jahre vor der Frage …).

Cohen bringt es in Anthem sehr schön auf den Punkt:

„Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack in everything
That’s how the light gets in.“

Durch die Risse dringt das Licht ein

Nichts ist perfekt, und das ist auch gut so: Durch die Risse dringt das Licht ein.

Könnte ich mich hier wunderbar bequem einrichten, warum sollte ich auf die Stimme des göttlichen Funkens in mir hören? Welche Erleichterung, wenn ich die Rückschläge auf dem Weg zu einem rundherum zufriedenstellenden Leben als Hilfen sehen kann. Hilfen, mich auf das Wesentliche, das einzig Notwendige zu besinnen. Oder wenigstens wachgerüttelt zu werden!

Gibt es eine göttliche Sphäre, ist sie für Menschen erreichbar? Viele sehnen sich nach konkreten Hinweisen. Diese kommen ständig, sagt Cohen, ganz ähnlich wie Funny van Dannen:

„We asked for signs
the signs were sent:
the birth betrayed
the marriage spent
Yeah the widowhood
of every government —
signs for all to see.“

1992 auf dem Album The Future veröffentlicht, weisen die folgende Zeilen weit über aktuelle Zeitbezüge hinaus:

„Every heart, every heart
to love will come
but like a refugee.“

Das erinnert an das Gleichnis vom reichen Jüngling. Wer seelisch satt ist, wird nicht bereit sein, alles zu geben und sich vorbehaltlos der Reise zum Innersten anzuvertrauen.

Anthem soll sich an kabbalistische Quellen anlehnen: Isaak Luria, Begründer der neuzeitlichen Kabbala, beschreibt einen Unfall im Schöpfungsgeschehen. Das Licht strömt in die Gefäße der Sefirot (zehn Dimensionen des Seins); schließlich ist das Licht zu stark, die Gefäße brechen. Seither befinden sich alle Geschöpfe im Exil. Es ist möglich, das ursprüngliche Licht wiederherzustellen, in einem Prozess, der Tiqqun genannt wird.

Leonard Cohen Live in London
Leonard Cohen: Buch der Sehnsüchte
Funny van Dannen: Groooveman

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