Das Buch des Mirdad: Befreiung von Sorge und Leid

1948 erschien erstmals Das Buch des Mirdad des libanesischen Schriftstellers Mikhaïl Naimy (1889-1988 – d. h. er wurde 99 Jahre alt). Der Autor war mit Khalil Gibran (1883-1931, „Der Prophet“) befreundet und gründete mit ihm und anderen zusammen die Pen Society, um die arabische Literatur zu fördern und zu modernisieren.

Das Buch des Mirdad überzeugt durch einfache, klare Sprache und enthält wertvolle Hinweise zu vielen Lebensbereichen, unter anderem Beziehungen, Liebe, Ego, Dienen, Beten oder zum Verhältnis von Logik und Glaube.

Hier einige einprägsame Kernsätze aus dem neunten Kapitel.

Der Weg zur Befreiung von Sorge und Leid

„Mirdad spricht zu den Gefährten:

Mikhail Naimy

Mikhail Naimy; Urheber: User CalinicoFire; Wikimedia Commons

Dieses ist der Weg zur Befreiung von Sorge und Leid.

Denkt so, als ob jeder eurer Gedanken in Feuerschrift am Firmament eingeätzt würde, damit alle Wesen und jedes Ding sie sehen können – denn so ist es in Wahrheit.

Sprecht so, als ob die ganze Welt nur ein einziges Ohr wäre, das hören wollte, was ihr sagt – und so ist es in Wahrheit.

Handelt so, als ob jede Tat auf euch zurückfallen sollte – und so geschieht es in Wahrheit.

Verlangt so, als ob ihr selbst das Verlangen wäret – und das seid ihr in Wahrheit.

Lebt so, als ob Gott selbst euch nötig hätte, um sein Leben zu leben – und das hat er in Wahrheit.“

Verbundenheit, Karma und der innereigene Gott

Damit sind in wenigen Sätzen wesentliche Aspekte des spirituellen Weges angesprochen. Die Verbundenheit allen Lebens klingt darin an – das passt zu modernen Erkenntnissen der Quantenphilosophie. Ebenso klingt die Verantwortung für das eigene Handeln an und die Lehre vom Karma.

Ist es nicht ein gewaltiger Ansporn, nicht nur Träger eines Gottesfunkens zu sein, sondern auf absehbare Zeit sogar die einzige Chance zur Befreiung für diesen Gottesfunken zu sein – trotz aller Schwächen und Unzulänglichkeiten?

Ein gnostischer Schlüssel zur Interpretation: Zeitlose Weisheit

Im Grunde bedarf dieses Werk wenig Interpretation dank seiner klaren, eingängigen Sprache. Dennoch mag es hilfreich sein, den „klassischen“ gnostischen Schlüssel zum Verständnis vieler heiliger Schriften, Legenden und Märchen auch hier anzuwenden:

Alle handelnden Personen können als Aspekte des eigenen Wesens verstanden werden. Shamadam („Schein-Adam“, Scheinmensch) ist das Ego, das seinen Platz als Herrscher des „Systems Mensch“ nicht preisgeben möchte. Mirdad repräsentiert die unsterbliche Seele, die dem ernsthaften Sucher zu einem bestimmten Zeitpunkt bewusst wird und, wenn es gut steht, immer mehr die Leitung im Leben übernimmt, bis das Ego tatsächlich die Kontrolle abgibt. Die Gefährten stehen für verschiedene Aspekte der Persönlichkeit, die die Impulse der wachsenden Seele empfängt und lernen muss, sie immer besser zu verstehen, ihr zu vertrauen und Raum zu geben und auf ihre Impulse zu reagieren.

(Vergleiche den Interpretationsvorschlag zum Herrn der Ringe.)

Das Buch des Mirdad: Ein Leuchtturm und ein Hafen

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