Jakob Böhme über den Glauben

In seinem Werk Von der Menschwerdung Jesu Christi (De incarnatione verbi, 1620) schreibt Jakob Böhme in Teil 1, Kapitel 11, Punkt 8 über den Glauben:

Und ist uns jetzt erkenntlich, worinnen unsere neue Wiedergeburt stehe, dieweil wir doch nun in dieser Welt mit der irdischen Hütten [dem stofflichen Körper] verdecket und dem irdischen Leben heimgefallen sind, als nämlich bloß in der Imagination, dass wir mit unserm Willen in Gottes Willen eingehen und uns ihm ganz eineignen und übergeben, welches Glauben heißet.

Denn das Wort <Glauben> ist nicht historisch, sondern es ist ein Nehmen aus Gottes Wesen, aus Gottes Wesen essen, Gottes Wesen mit der Imagination in sein Seelenfeuer einführen, seinen Hunger damit stillen und also Gottes Wesen anziehen, nicht als ein Kleid, sondern als einen Leib der Seelen. Die Seele muss Gottes Wesen in ihrem Feuer haben, sie muss von Gottes Brot essen, will sie Kind sein.

Böhme weist den Weg in die Freiheit

Glaube in diesem Sinne ist nichts Spekulatives. Böhme fordert den Leser eindringlich dazu auf, Kenntnis „aus erster Hand“ zu erwerben. Wer dem Gott in sich selbst Raum gibt, ihn zur Entfaltung kommen lässt und auf seine Stimme hört, der ist frei: frei von der Abhängigkeit von Autoritäten und Experten, frei von Vertretern, die ihm Gott erklären müssen, frei auch von den Spekulationen seines eigenen Verstandes. Er muss keine dicken Bücher mehr lesen, um etwas über Gott zu erfahren.

Daran zeigt sich Böhmes Nähe zu dem Weg der Gnostiker. Gnosis (Erkenntnis, Wissen) zielt nicht auf Bücherwissen, sondern auf direkte Selbst- und Gotteserkenntnis.

Warum kann es trotzdem hilfreich sein, Böhme zu lesen? Nicht um etwas als Wissen abzuspeichern, aber um Resonanz zwischen Böhmes Gotteserfahrung und dem Schatz im eigenen Wesen zu spüren. Böhmes Schriften sind dann Hilfen, etwas in sich selbst freizulegen, das bisher verschüttet war.

Wiedergeburt und Reinkarnation

Was kann mit der „neuen Wiedergeburt“ gemeint sein? In obigem Zitat wird deutlich, dass es nicht um den Kreislauf der Reinkarnationen gehen kann, das Sterben und erneute Eintauchen in den Stoff, um ein neues irdisches Leben zu beginnen. Die neue Wiedergeburt erfolgt während des irdischen Lebens, indem der (egoistische) Eigenwille einem höheren Prinzip anvertraut wird, dem Willen Gottes.

Gerhard Wehr gebührt das Verdienst, zahlreiche Schriften Böhmes herausgegeben zu haben und damit zur Popularität des Görlitzers erheblich beigetragen zu haben.

Jakob Böhme: Von der Menschwerdung Jesu Christ

Jakob Böhme: Textauswahl und Kommentar von Gerhard Wehr

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