Warum erlebe ich mich nicht als Gotteskind? Jakob Böhme antwortet

Kennen Sie diese Diskrepanz? Einerseits das sichere Wissen, dass ein göttlicher Funke in Ihnen verborgen liegt. Andererseits fehlt die konkrete Erfahrung. Obwohl das Höhere „näher ist als Hände und Füße“, mag es sich nicht zeigen.

In Die Menschwerdung Jesu Christi (De incarnatione verbi, 1620) nennt Jakob Böhme Gründe für die ausbleibende Erhebung – und liefert die Medizin gleich mit:

Nun spricht die Vernunft: Wie kommts denn, weil ich Christi Glied und Gottes Kind bin, dass ich ihn nicht fühle noch empfinde?

Antwort: Ja, allhie stecket es, liebes besudeltes Hölzlein; riech in deinem Busen, wonach stinkest du, nach teuflischer Sucht als nach zeitlicher Wollust, nach Geiz, Ehren und Macht. Höre, das ist des Teufels Kleid. Zieh diesen Pelz aus und wirf ihn weg. Setze deine Begierde in Christi Leben, Geist, Fleisch und Blut, imaginiere darein, als du hast in die irdische Sucht imaginieret, so wirst du Christus in deinem Leibe, in deinem Fleisch und Blut anziehen. Du wirst Christus werden; seine Menschwerdung wird sich zuhand [alsbald] in dir erregen, und wirst in Christo neugeboren werden.

Teil 1, Kapitel 12: Von der reinen Jungfrauschaft

Diese Aufforderung lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es geht um eine konsequente Lebenshaltung, eine radikale Umkehr und schließlich eine vollständige Verwandlung. Siehe die Beiträge zum Stichwort Transfiguration. In Leonard Cohens Ballad of the Absent Mare wird der Prozess anhand eines alten chinesisch-buddhistischen Bilderzyklus, der Zehn Ochsenbilder, beschrieben.

Zu Jakob Böhmes Auffassung über den Glauben siehe den vorigen Beitrag.

Von der Menschwerdung Jesu Christi (herausgegeben von Gerhard Wehr)

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