Urteilen? Ur-Teilen …

Auf dem spirituellen Erfahrungsweg kann dem Kandidaten der Hinweis begegnen, sehr vorsichtig mit eigenen Urteilen umzugehen – oder, noch radikaler, das Urteilen so weit wie möglich einzustellen. Woher kommen diese Hinweise? Neben kurz gehaltenen naturwissenschaftlichen, psychologischen und religiösen Begründungen möchte ich auch auf eine sprachliche Überlegung eingehen.

Balkenwaage

Balkenwaage; Fotograf: Bubamara; Quelle: Wikimedia Commons; Urheber: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Bubamara

(Natur-)Wissenschaftliche Begründung

Die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit ist sehr eingeschränkt. Wir können nur einen kleinen Teil des Farbspektrums sehen, hören nur einen geringen Frequenzbereich, sind immer nur an einem Ort anwesend, wissen und verstehen sehr vieles nicht, was um uns herum geschieht usw. Deshalb ist es sinnvoll, die eigenen Wahrnehmungen nicht zu hoch zu bewerten und anzuerkennen, dass andere mit anderen Wahrnehmungen zu anderen Schlussfolgerungen kommen können.

Psychologische Begründung

Viele Menschen erkennen Fehler (schlechte Charaktereigenschaften etc.) bei anderen deutlicher als bei sich selbst. Oft ärgert man sich beim Anderen gerade über eine Eigenschaft, die man selbst auch hat, bei sich aber nicht wahr haben will.

Religiöse Sichtweise

(Neues Testament, Matthäus-Evangelium):

Splitter / Balken im Auge

Domenico Fetti: The Parable of the Mote and the Beam

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Oder wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Sicher könnte eine Fülle weiterer Zitate zum Thema gefunden werden.

Eine sprachliche Überlegung

In der Silbe „Ur“ schwingt etwas mit von der Einheit, dem Ur-Sprung, aus dem alles hervorgegangen ist, dem Ur-Zustand. Wer dieses „Ur“ teilt, zerstört gewissermaßen die Einheit, begibt sich in das Geteilte, das Unvollständige, das Unvollkommene.

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