Karl May, Faust, Teufel und Himmel
In Karl Mays Autobiografie „Mein Leben und Streben“ gibt es einige Stellen, die mich sehr berühren. In einer geht es um den Faust, aber nicht den von Goethe. Und um den Teufel, aber nicht so, wie er üblicherweise gedacht wird. Und eine ungewöhnliche Perspektive auf das Symbol des Kreuzes.
May beschreibt seine ersten Theater-Erfahrungen als kleiner Junge. Es war ein Puppentheater: „Das Müllerröschen oder die Schlacht bei Jena“. May schreibt dazu:
Mein Herz jubelte. Als wir nach Hause gekommen waren, musste Großmutter mir beschreiben, wie die Puppen bewegt werden.
„An einem Holzkreuz“, erklärte sie mir. „Von diesem Holzkreuz gehen die Fäden hernieder, die an den Gliedern der Puppen befestigt sind. Sie bewegen sich, sobald man oben das Kreuz bewegt.“
„Aber sie sprechen doch!“ sagte ich.
„Nein, sondern die Person, die das Kreuz in den Händen hält, spricht. Es ist genauso wie im wirklichen Leben.„
„Wie meinst du das?“
„Das verstehst du jetzt noch nicht; du wirst es aber verstehen lernen.“Ich gab keine Ruhe, bis wir die Erlaubnis erhielten, nochmals zu gehen. Es wurde gespielt „Doktor Faust oder Gott, Mensch und Teufel„. Es wäre ein vergebliches Beginnen, den Eindruck, den dieses Stück auf mich machte, in Worte fassen zu wollen. Das war nicht der Goethesche Faust, sondern der Faust des uralten Volksstücks, nicht ein Drama, in dem die ganze Philosophie eines großen Dichters aufgestapelt wurde und auch noch etwas mehr, sondern das war ein direkt aus der tiefsten Tiefe des Volksseele heraus zum Himmel klingender Schrei nach Erlösung aus der Qual und Angst des Erdenlebens. Ich hörte, ich fühlte diesen Schrei, und ich schrie ihn mit, obgleich ich nur ein armer, unwissender Knabe war, damals wohl kaum neun Jahre alt.
Der Goethesche Faust hätte mir, dem Kinde, gar nichts sagen können; er sagt mir, aufrichtig gestanden, selbst heute noch nicht, was er der Menschheit wahrscheinlich hat sagen wollen und sollen; aber diese Puppen sprachen laut, fast überlaut, und was sie sagten, das war groß, unendlich groß, weil es so einfach, so unendlich einfach war:
Ein Teufel, der nur dann zu Gott zurückkehren darf, wenn er den Menschen mit sich bringt!
Und die Fäden, diese Fäden, die alle nach oben gehen, mitten in den Himmel hinein! Und alles, alles, was sich da unten bewegt, das hängt am Kreuz, am Schmerz, an der Qual, am Erdenleid. Was nicht an diesem Kreuze hängt, ist überflüssig, ist bewegungslos, ist für den Himmel tot!
Ein ähnlicher Gedanke über den Teufel ist in diesem Beitrag enthalten:
Spiritualität in der Alltagssprache: „Jenseits von Gut und Böse“.
Hier gibt es mehr zu Karl May.
Lesestoff (Hinweis: bezahlte Links):
Karl May: Ich – Leben und Werk
Karl May: Im Reiche des Silbernen Löwen, Band 1 (Band 28 der Gesamtausgabe)
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