Auf die Geist-Seele gerichtet: Bob Dylan, Visions of Johanna

Visions of Johanna vom 1966er Album Blonde on Blonde gehört zu den Songs von Bob Dylan, mit denen ich lange Zeit wenig anfangen konnte. Von einigen Kritikern wird er als einer der besten Dylan-Songs überhaupt bezeichnet (z. B. vom Rolling Stone Magazine und The Telegraph), tausende Youtube-Kommentare preisen ihn.

Für mich kennzeichnet das Lied den Spannungsbogen der Seele zwischen dem irdischen Leben und ihrem hohen geistigen Ursprung. Bereits die zweite Zeile kann man als treffende Beschreibung des menschlichen Zustands überhaupt betrachten: wir sind hier verloren (gestrandet), aber wir versuchen es mit aller Kraft zu leugnen.

Die beschriebenen Szenen erzählen von Verfall und Degeneration und sind teils absurd, etwa wenn eine alte Dame mit Wackelpudding-Gesicht ihre Knie nicht finden kann.

Im scharfen Kontrast dazu steht die jeweils letzte Zeile jeder Strophe, die auf Johanna verweist. Über sie erfahren wir im Grunde nichts – nur, dass sie nicht hier ist und dass des Sprechers Gedanken immer wieder um sie kreisen: Sie bildet den Konzentrationspunkt seiner Sehnsucht, seiner „Vision“.

Johanna geht auf einen hebräischen Namen zurück, der sich aus der Bezeichnung für Gott und „jemandem gnädig sein“ zusammensetzt; er bedeutet somit „der Herr ist gnädig“, „die Gottbegnadete“.

Woran Dylan bei diesem Song dachte, weiß ich nicht. Für mich können manche Worte mit Kraft geladen sein, wie etwa Mantrams, die über lange Zeit von vielen Menschen inbrünstig gebetet wurden, das Wort Amen und andere. So könnte es auch bei dem Namen Johanna sein.

Joana und die Katharer

In etwas anderer Schreibweise, als Joana, spielt der Name eine Rolle bei den Katharern – einer spirituellen Gruppe, die im Mittelalter vor allem in Südfrankreich wirkte und sich auch in Spanien und bis Italien und Deutschland ausbreitete. Im Ariègetal zeugen Höhlen wie die Grotte de Lombrives und der Montségur noch heute von der erhabenen spirituellen Reinheit der Katharer-Einweihungen. Sie wurden als Ketzer gebrandmarkt, mit Kreuzzügen und Inquisition bekämpft und nahezu ausgerottet.

Die Katharer-Hymne erzählt vom Sterben der gläubigen Joana, der Katharer-Kirche. Sie enthält folgende Zeilen:

E lous roumious que passaran, Prendran d’aïgo ségnado.
E diran: Cal es mort aïci, Es la paouro Joana.
Que ‘n es anado al paradis, Al cèl ambé sas cabros.

Und die Pilger, die vorbei kommen, nehmen geweihtes Wasser.
Und werden sagen: ‘Wer ist hier gestorben? Es ist die arme Joana!
Die fortgegangen ist ins Paradies, in den Himmel, mit ihren Schafen.

Doch was Ewigkeitswert hat, kann nicht wirklich sterben. Es wird von einer Katharer-Prophezeiung berichtet, wonach „nach 700 Jahren der Lorbeer wieder ergrünen“ wird. In dieser Zeit leben wir jetzt – 700 Jahre nach dem „Ende“ der Katharer.

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Mehr hören (Hinweis: Bezahlte Links):

Bob Dylan – Blonde on Blonde

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