Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl

In „Von der Gnadenwahl“ (Erstveröffentlichung 1623) stellt Jakob Böhme der Prädestinationslehre seine Auffassung vom Befreiungsweg des Menschen gegenüber.

Heutzutage mag der Glaube an die Vorbestimmung des menschlichen Schicksals keine so große Rolle mehr spielen wie zu Böhmes Zeiten. Kurz gefasst, besagt die Prädestinationslehre: Das Schicksal des Menschen ist vorherbestimmt. Einige sind zu ewiger Verdammnis bestimmt, andere zur Gnade auserwählt.

Calvinismus, Prädestination und Max Weber

Ein prominenter Vertreter der Lehre von der Vorbestimmung des Schicksals war Johannes Calvin. Einer der Begründer der modernen Soziologie, Max Weber, schrieb der Prädestinationslehre sogar eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des Kapitalismus zu – auch wenn er in einer späteren Schrift die Entstehung des Kapitalismus durchaus komplex und differenziert betrachtet. (Genau darüber schrieb ich meine Abschlussprüfung im Soziologie-Studium.)

Bei der Jahrestagung der Jakob-Böhme-Gesellschaft 2023 hörte ich einen Vortrag, der sich sehr kritisch mit Max Weber auseinandersetzte (und Böhme kaum streifte).

Aktuell bleibt Böhmes Grundauffassung: das Göttliche ist im Menschen angelegt und jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich diesem göttlichen Kern zuzuwenden, ihn in sich wachsen zu lassen und ihm sein Leben zu weihen. So ist die Gnade für alle Menschen erreichbar.

Im Folgenden einige besonders einprägsame Zitate aus der „Gnadenwahl“ (in der Ausgabe von Gerhard Wehr, 1995).

Jakob Böhme: Ist das Göttliche im Menschen (beim „Sündenfall“) gestorben?

Böhme unterscheidet zwischen dem irdischen Sterben und dem „Sterben“ des göttlichen Anteils im Menschen. Wie kommt es, dass der Mensch kein Ebenbild Gottes mehr ist?

Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl, herausgegeben von Gerhard Wehr 1995. Buchcover
Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl, herausgegeben von Gerhard Wehr 1995. Buchcover

9. Dieses recht zu betrachten, was am Menschen sei im Fall gestorben, so müssen wir nicht nur allein den zeitlichen Tod ansehen, wie der Mensch stirbet und verweset. Denn das ist nur der tierische Tod und nicht der ewige Tod. Auch müssen wir nicht so blind sein und sagen, die Seele sei gestorben in ihrer Kreatur. Nein, das mochte nicht sein, denn was aus dem Ewigen ist, das nimmt keinen Tod an, sondern das Ebenbildnis Gottes, das sich in die kreatürliche Seele hat eingebildet als das göttliche Ens [Sein], dasselbe verblich, wie der Feuer-Grimm aufwachte. Denn in Gott ist kein Sterben, sondern nur eine Scheidung der Prinzipien auf Art zu verstehen, wie wir sehen, dass die Nacht den Tag in sich verschlinget und der Tag die Nacht. Also ist eines im andern wie tot, denn es mag sich nicht erzeigen.

Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl, Kap. 7: von der Tierischen Offenbarung im Menschen, Herausgegeben von Gerhard Wehr 1995

Böhme vergleicht das Verbleichen des göttlichen Ebenbildes im Menschen mit dem Zustand, den die Erde erführe, wenn die Sonne verginge:

10. […] Also auch ingleichen starb Adam und seine Eva des Reichs der göttlichen Sonnen-Kraft als des göttlichen Wesens und Willens, und wachten auf der grimmen Natur, von innen nach der Seelen und auch von außen in der tierischen Eigenschaft.

Hat Gott den Menschen aus dem Paradies ausgestoßen?

Hat der Mensch den göttlichen Zustand, das Paradies, durch göttlichen Entschluss verloren? Böhme entlässt den Menschen nicht aus seiner Eigenverantwortung. An mehreren Stellen in seinen Werken greift er zum Bild der Distel, die ebenso wie andere Pflanzen von den Sonnenstrahlen beschienen wird. Die Sonne ist nicht für die „stachlichte“ Erscheinungsform der Distel verantwortlich. Der Eigenwille hat den Menschen von Gott entfernt.

12. Gott entzog sich der Seelen nicht, sondern die Scienz des freien Willens entzog sich Gotte, gleichwie die Sonne der Distel nicht entzeucht, aber die Distel entzeucht der Sonnen ihre stachlichte Scienz und führet sie in stachlicht Wesen. Je mehr die Sonne darauf scheinet, je stachlichter und stärker wird die Scienz des wirkenden Willens. Also ist es auch von der Seelen zu verstehen.

13. Gott wohnet durch alles, auch durch die Finsternis und durch die Teufel. Aber die Finsternis ergreift ihn nicht, also auch der Teufel und die gottlose Seele nicht. […]

Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl, Herausgegeben von Gerhard Wehr 1995. Kap. 7: von der Tierischen Offenbarung im Menschen

Wie kann der Mensch wieder ein Ebenbild Gottes werden?

Genügt es, an Jesus Christus zu glauben, der uns von den Sünden erlöste? Jakob Böhme drückt es im 10. Kapitel so aus:

34. So lieget es jetzo nicht allein am äußern Wissen, dass ich weiß, dass ich einen gnädigen Gott in Christo habe, der die Sünde der Menschheit hat getilget, sondern an dem lieget es:

  1. dass es auch in mir geschehe, dass Christus, der vom Tode auferstanden, auch in mir auferstehe und über die Sünde in mir herrsche,
  2. dass er auch die Sünde als die Natur in ihrem bösen Willen in mir töte, dass derselbe in Christo in mir auch gekreuziget und getötet werde;
  3. und ein neuer Wille aus der Natur in Christi Geiste, Leben und Willen in mir aufstehe, welcher Gott wolle, ihm lebe und gehorsame, welcher das Gesetze erfülle, das ist: der sich in Gehorsam ins Gesetze einergiebet und dasselbe mit dem göttlichen Liebe-Willen erfüllet, dass das Gesetz in seiner Gerechtigkeit der Liebe-Begierde untertan werde und sich auch in der Liebe mit erfreue.

35. Alsdann sinket der Zorn Gottes von der Seelen. Und sie wird im Liebe-Geist von Pein erlöset und lebet in Gott.

Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl, Herausgegeben von Gerhard Wehr 1995. Kap. 10: Kurze Verfassung der Schrift Einwürfe, welche die Vernunft gefangen halten, wie sie zu verstehen sind.

Literatur (Hinweis: bezahlte Links):

Jakob Böhme: Von der Gnadenwahl. Herausgegeben von Gerhard Wehr

Zum Film: Morgenröte im Aufgang

Alles in Allem: Die Gedankenwelt des mystischen Philosophen Jacob Böhme

Gerhard Wehr: Jakob Böhme: Ursprung, Wirkung, Textauswahl

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