Gefälschte Heilige Schriften: Beispiel Upanishaden

Ich habe diverse Male gehört und gelesen, dass Heilige Schriften hier und da gefälscht wurden. Nicht so überraschend, wenn man bedenkt, dass ursprüngliche Religionsimpulse in aller Regel Gott im Menschen verorten und einen direkten Weg weisen, sich mit diesem innereigenen Gott zu verbinden. Kein anderer Mensch, kein Mittler steht zwischen dem Sucher und Gott. Wenig verwunderlich, dass das mit Machtinteressen kollidiert – mit Strukturen, die Menschen mit irdischen Ämtern, mit Priestern oder anderen Experten führen und Regeln vorgeben wollen.

Shandilya Upanishad: Mayura Asana. Quelle: Wikimedia Commons / Jaisiyaram.com, User Dharmasansthapana
Shandilya Upanishad: Mayura Asana.
Quelle: Wikimedia Commons / Jaisiyaram.com, User Dharmasansthapana

Beispiele für derartige Fälschungen sind oft gar nicht oder nur schwer erkennbar. Kürzlich entdeckte ich bei der Lektüre von Auszügen aus den Upanischaden ein Beispiel, das mir sehr drastisch und auffällig erscheint. Es stammt aus Upanishaden – Die Geheimlehre der Inder, übertragen und eingeleitet von Alfred Hillebrandt, mit einem Vorwort von Helmuth von Glasenapp. Fundstelle: Bribad-Aranyaka-Upanishad.

Der (vermutete) Originaltext

Hier der Text, wie ich ihn als Original vermute – wobei natürlich so manches durch die Übersetzung verloren gehen mag. Die kritischen Stellen sind in der Buchausgabe bereits in eckige Klammern gesetzt.

Wenn einer unter den Menschen erfolgreich ist und glücklich, ein Oberherr über andere, überhäuft mit allen Gegenständen menschlicher Wünsche, das ist die höchste Freude der Menschen.

Hundert Freuden der Menschen sind nur gleich einer Freude der Väter, die ihre Stätte errungen haben.

Hundert Freuden der Väter, die ihre Stätte errungen haben, sind nur gleich einer Freude derer, die durch Werke die Stellung von Göttern errungen haben.

Hundert Freuden derer, die durch Werke die Stellung von Göttern errungen haben, sind nur gleich einer Freude der Götter von Geburt.

Hundert Freuden der Götter von Geburt sind nur gleich einer Freude in der Welt der Götter.

Hundert Freuden in der Welt der Götter sind nur gleich einer Freude in der Welt der Gandharven.

Hundert Freuden in der Welt der Gandharven sind nur gleich einer Freude in der Welt Prajapatis.

Hundert Freuden in der Welt Prajapatis sind nur gleich einer Freude in der Welt Brahmans.

Yajnavalkya, der Janaka, den Fürsten der Videha, so unterweist, schließt an: „Das ist, Großkönig, die Brahmawelt; das ist das Unsterbliche“.

Die Stelle erinnert mich an den zweiten Korintherbrief, Kapitel 3:

Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.

Für mich spricht aus dem Upanishaden-Text einerseits die unermessliche Distanz zwischen dem irdischen Menschen und dem göttlichen Wesenszustand, andererseits auch die Verheißung, dass der Brahma-Zustand durch viele tiefgreifende Wandlungen erreicht werden kann.

Der vermutlich bearbeitete Text

Lest selbst, was aus dieser Textstelle wurde. Ich beginne mit dem vierten Abschnitt des obigen Zitats, die vorherigen stehen 1:1 wie oben in der mir vorliegenden Übersetzung.

Hundert Freuden derer, die durch Werke die Stellung von Göttern errungen haben, sind nur gleich einer Freude der Götter von Geburt [und eines Schriftgelehrten, der ohne Falsch und von Wünschen nicht bezwungen ist].

Hundert Freuden der Götter von Geburt sind nur gleich einer Freude in der Welt der Götter [und eines Schriftgelehrten, der ohne Falsch und von Wünschen nicht bezwungen ist].

Hundert Freuden in der Welt der Götter sind nur gleich einer Freude in der Welt der Gandharven [und eines Schriftgelehrten, der ohne Falsch und von Wünschen nicht bezwungen ist].

Hundert Freuden in der Welt der Gandharven sind nur gleich einer Freude in der Welt Prajapatis [und eines Schriftgelehrten, der ohne Falsch und von Wünschen nicht bezwungen ist].

Hundert Freuden in der Welt Prajapatis sind nur gleich einer Freude in der Welt Brahmans [und eines Schriftgelehrten, der ohne Falsch und von Wünschen nicht bezwungen ist].

Der Übersetzer merkt zu den in Klammern gesetzten Worten trocken an: „Diese Worte, die die Steigerung vermindern, sind nach meiner Meinung Zusatz […]“.

Für mich zeigt die Gegenüberstellung (ohne und mit Einfügungen) den Kontrast zwischen einer innerlich verstandenen Religion im Sinne einer Re-ligio, einer Rückverbindung mit dem Göttlichen, und einer äußerlich verstandenen Religion, in der eifriges Studium der Schriften genügt. Auf dem innerlichen Weg geht es um eine fundamentale Verwandlung; reines Verstandeswissen hilft dabei nicht weiter.

Upanishaden: Die Geheimlehre der Inder

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