Verwandlung durch den Geist bei Gustav Meyrink: Der weiße Dominikaner

In Gustav Meyrinks Roman „Der weiße Dominikaner“, erschienen 1921, wird dem Autor das Geschehen von der Hauptfigur Christopher Taubenschlag gleichsam eingegeben. Diese Figur ist der Letzte seines Geschlechts und bringt den inneren Weg seiner Ahnen zu einem guten Ende. Die Ahnen kann man als Familie sehen, aber auch als die früheren Inkarnationen, deren Erfahrungsessenz in seinem Mikrokosmos gespeichert ist. Das Haus, in dem er fast sein ganzes Leben verbringt, ist ein gutes Bild dafür – am Ende betritt er einige Kammern zum ersten Mal und wird mit unerlösten Anhaftungen seiner Vorgänger konfrontiert.

Der Name ist symbolisch gemeint, wie am Ende des Zitats deutlich wird.

Ein wesentlicher Aspekt seiner Einweihung besteht darin, dass er direkten Zugang zum befreienden Wissen erhält. Dabei geht es um eine fundamentale Verwandlung, ausgehend vom Geist (nicht mit dem menschlichen Verstand zu verwechseln) – die wahre Alchemie.

Hier ein Abschnitt vom Ende des Kapitels „Einsamkeit“:

Viele Erkenntnisse, die nie in Büchern gestanden haben, sind mein eigen; kein Mensch hat sie mir jemals mitgeteilt, und dennoch sind sie da.

Ich verlege ihr Erwachen in jene Zeit zurück, wo meine äußere Form sich wie im Schlafe des Scheintodes aus einer Hülle des Nichtwissens in ein Gefäß des Wissens verwandelte.

Damals glaubte ich, so wie auch mein Vater es bis zu seinem Tode glaubte, dass die Seele an Erfahrung reicher werden könne und dass das Leben im Körper zu diesem Zwecke dienlich sei. Ich hatte auch die Mahnung des Urahns in diesem Sinne aufgefasst.

Heute weiß ich, dass die Seele des Menschen allwissend und allmächtig ist von Anbeginn, und dass das einzige, was der Mensch für sie tun kann, ist: alle Hemmnisse, die ihrer Entfaltung im Wegen stehen, zu beseitigen. –

Wenn überhaupt irgend etwas in den Bereich seines Tuns gestellt ist!

Das tiefste Geheimnis aller Geheimnisse und das verborgenste Rätsel aller Rätsel ist die alchimistische Verwandlung der – Form.

Das sage ich dir, der du mir die Hand leitest, zum Danke dafür, dass du für mich schreibst!

Der verborgene Weg zur Wiedergeburt im Geiste, von dem in der Bibel steht, ist eine Verwandlung des Körpers und nicht des Geistes.

Wie die Form beschaffen ist, so äußert sich der Geist; – beständig meißelt und baut er an ihr, das Schicksal als Werkzeug gebrauchend; je starrer sie ist und je unvollkommener, desto starrer und unvollkommener die Art seiner Offenbarung; je willfähriger und feiner sie wird, desto mannigfaltiger gibt er sich kund.

Gott allein, der Allgeist, ist es, der sie verwandelt und die Glieder vergeistigt, so das Tiefinnerliche, der Urmensch, sein Gebet nicht nach außen stellt, sondern Glied um Glied der eigenen Form anbetet, als wohne darin verborgen die Gottheit in jeglichem Teile als anders erscheinendes Bild. —

Die Formveränderung, die ich meine, wird für das äußere Auge erst sichtbar, wenn der alchimistische Prozess der Umwandlung seinem Ende zugeht; im Verborgenen nimmt er seinen Anfang: in den magnetischen Strömungen, die das Achsensystem des Körperbaues bestimmen, – die Denkart des Menschen, seine Neigungen und Triebe verwandeln sich zuerst, ihnen folgt die Wandlung des Tuns und mit ihm die Verwandlung der Form, bis diese der Auferstehungsleib des Evangeliums wird.

Es ist, wie wenn eine Statue aus Eis von innen heraus zu schmelzen beginne.

Die Zeit kommt, wo die Lehre dieser Alchemie für viele wieder aufgebaut wird; sie lag wie tot, wie ein Trümmerhaufen, und das erstarrte Fakirtum Indiens ist ihre Ruine.

Unter dem verwandelnden Einfluss des geistigen Urahns war ich, wie ich sagte, ein Automat geworden mit kalten Sinnen; ich blieb es bis zum Tag meiner „Lösung mit dem Leichnam“.

Als lebloser Taubenschlag, in dem die Vögel aus- und einfliegen, ohne dass er Anteil nimmt an ihrem Treiben, musst du mich werten, wenn du verstehen willst, wie ich damals war; du darfst mich nicht messen mit dem Maßstab der Menschen, die nur ihresgleichen kennen.

Gustav Meyrink, Der Weiße Dominikaner, Kap. „einsamkeit“

Meyrinks Beschreibung erinnert mich an Paulus‘ Worte aus dem Korintherbrief:

Wisst ihr denn nicht, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott bekommen habt? Ist euch nicht klar, dass ihr euch nicht selbst gehört?

1 Korinther 6:19

Gustav Meyrink: Der weiße Dominikaner

Gustav Meyrink: Auf der Suche nach dem Übersinnlichen

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