Die goldene Rose in Gustav Meyrinks „Engel vom westlichen Fenster“
Gustav Meyrink (1868 – 1932) verwendet in seinem Einweihungsroman „Der Engel vom westlichen Fenster“ die Goldene Rose als Symbol der Einweihung. Dabei wird sehr deutlich, dass es nicht um irdische Macht oder Erfolg geht.
Der Erbe des historisch belegten Gelehrten John Dee, Baron Müller, begegnet in einer Szene seinem Jugendfreund Theodor Gärtner – oder vielmehr einer Erscheinung, die diesem ähnlich sieht. Als Laborant Gardener hatte dieser auch schon John Dee unterstützt und vor dem Missbrauch magischer Anrufe gewarnt.
Der Beruf dürfte kein Zufall sein – ein Mitarbeiter der höheren Kräfte, der sich ganz in den Dienst seiner Aufgabe stellt.
Die Alchemie der Goldenen Rose
Gärtners Erscheinung spricht zu dem Einweihungs-Kandidaten (Baron Müller). In meiner Ausgabe (Langen Müller, Abdruck nach Erstausgabe von 1927) auf S. 187:
„Vielleicht erinnerst du dich, einmal gehört zu haben, dass es zu allen Zeiten Stümper und Meister gegeben hat. – Du denkst an etwas Stümperhaftes, wenn du an die Alchimie der mittelalterlichen Quacksalber und Panscher denkst. Aus ihrer Afterkunst hat sich allerdings die gepriesene Chemie dieser Zeit entfaltet, auf deren Fortschritt dein Freund Theodor so kindisch stolz war. –
Die Quacksalber des finsteren Mittelalters sind jetzt zu hochgeschätzten Professoren der Chemie an den Hohen Schulen avanciert. –
Wir aber von der ‚Goldenen Rose‘ haben uns nie damit befasst, die Materie zu zerlegen, den Tod hinauszuschieben und den Hunger nach dem verfluchten Spielzeug Gold zu vermehren. Wir sind geblieben, was wir waren: Laboranten des ewigen Lebens.“
Das neue Seelenkleid: Die goldene Rose blüht
Nach langen innerlichen Kämpfen wird der Kandidat schließlich erlöst. Ähnlich wie bei Goethes Faust sah es zunächst aus, als sei er in seinem Ringen unterlegen – doch er wird von höheren Kräften empfangen und umhüllt. Das Gewand kann man, wie im Lied Scarborough Fair, als Bild für das neue Seelenkleid sehen (S. 511):
In diesem Augenblick trifft ein kurzer Schlag wie von einem leicht geschwungenen Hammer meine Stirn. Er schmerzt nicht; eher wohltuend ist er, denn mit einem Male sprühen Lichtgarben aus meinem Hinterhaupt hervor … endlose Lichtgarben, die den Himmel mit Sternen füllen … und der Blick in dieses Sternenmeer von Licht ist Seligkeit …
Widerwillig nur und zögernd kehrt mir die Besinnung wieder.
Weiße Gewänder umhüllen mich. Ein Lichtstrahl trifft von unten her auf meinen gesenkten Blick: auch mein Gewand trägt auf der Stelle der Brust die golden blitzende Rose.
Freund Gardener ist bei mir, und ringsum in dem geisterhaft hohen Saal ist ein leises Summen wie von Bienenschwärmen.
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