Altes Testament: Lohnt es aus spiritueller Sicht?

Unter spirituell orientierten Menschen gibt es unterschiedliche Zugänge zur Bibel. Manche leben eine freie Spiritualität ohne Bindung an traditionelle Religionen und ihre Zeugnisse, manche akzeptieren die Bibel als Heilige Schrift. Auch unter letzteren findet sich oft die Haltung: Wozu noch mit dem Alten Testament beschäftigen, wo es doch das Neue Testament gibt? Die Brutalität des Alten Testaments („Auge um Auge, Zahn um Zahn“) sei nicht mehr zeitgemäß, ebenso wie die Vorstellung von dem einen besonderen Volk, das vor allen anderen auserwählt sei.

Anna Martens: Das große Gesetz

Durch Empfehlung eines Freundes stieß ich auf Anna Martens‘ Buch „Das große Gesetz. Die Lösung der Siegel aus den fünf Büchern Moses“. Auf gut 500 Seiten legt die Autorin die tiefe spirituelle Dimension des Alten Testaments frei. Es zeigt den Weg der Bewusstseinsentwicklung vom Anbeginn der Schöpfung. Zahlen werden oft kabbalistisch gedeutet, Namen und Orte auf ihre Bedeutung zurückgeführt – oft durch Betrachtung der einzelnen Silben.

Altes Testament: Israel – Das Volk Gottes

Im ersten Buch Mose ringt Jakob mit dem „Mann“ und spricht die Worte: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Gott verfügt: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel.“

Anna Martens erläutert dazu unter anderem:

„Israel“ ist demnach ein großes Mysterium, das alle Geschöpfe bergen. Es ist das durch die göttlichen Kräfte geschaffene, dem geistigen Wesen nach vollkommene, dem irdischen Charakter nach unvollkommene „Ich“, das Spiegelbild der göttlichen Grundnatur. Aus der Aktivität dieses Ichs bricht ein neues Licht …

[…] Was dem Leser aber klar werden dürfte ist, dass „Israel“ kein Volk im Sinne der Vereinigung von Menschen gleichen Stammes ist. Ein Volk Gottes wohl, da das Licht im Geschöpf sein Gebilde und sein ihm dienender Helfer am Werke der Weiterentwicklung ist. …

Das große Gesetz, S. 133f.

Moses: Personifikation eines Entwicklungsgeschehens

Die Figur des Moses wird nicht als einzelner Mensch verstanden, sondern als Personifikation eines großen Entwicklungsgeschehens: das Werkzeug, in dem geistige Vorgänge sich zu einer Zentral-Organisation, dem Bewusstsein, zusammenschließen.

Moses wird nach seiner Geburt in einem Schilfkästchen am Ufer des Nils ausgesetzt. Die Worte „Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen“ interpretiert Anna Martens wie folgt:

Darin, dass Moses aus dem Wasser gezogen worden ist, liegt gewiss nicht die große Aufgabe begründet, die ihm, selbst wenn man seine Bedeutung inmitten des jüdischen Volkstums annehmen wollte, für die Entwicklung übertragen worden ist. Setzt man jedoch für Wasser den Begriff Seele, dann ergibt sich ein wesentlich anderer Sinn, und die Formulierung heißt: „Das Bewusstsein ist aus der Seele emporgestiegen.“

Das große Gesetz, S. 187

In dem dicken Wälzer finden sich viele weitere Perlen … Es braucht allerdings etwas Geduld und Ausdauer, um sich mit dem Werk auseinanderzusetzen. Jedenfalls zeigt es mir, dass das Alte Testament weit mehr an Weisheit enthält, als man aus heutiger Sicht auf den ersten Blick meinen möchte.

Anna Martens: Das große Gesetz [Hinweis: Bezahlter Link]

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3 Antworten

  1. Ralf sagt:

    Über Jakobs Kampf am Yabbok hatten wir letztens auch bei der TG reflektiert. Es gibt da verschiedenste Auslegungen – mit der hier kann ich ganz gut leben: https://www.herder.de/el/hefte/archiv/2014/8-2014/der-kampf-jakobs-mit-gott/
    Eine schöne Beschäftigung mit dem AT in Romanform ist auch die Pentalogie Thomas Manns „Josef und seine Brüder“.
     

  1. 11. Januar 2024

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  2. 12. Januar 2024

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