Ursprüngliche Religion und religiöse Institution: Von Schlangen und Häuten

Seit die Menschheit sich von der göttlichen Einheit abgespalten und sich in Eigenwilligkeit mit der Welt der Vergänglichkeit verbunden hat, wird sie gerufen und zur Rückkehr eingeladen. Immer wieder zeugen Botschafter vom Licht. Und immer wieder wiederholt sich das alte Drama: die Lichtimpulse werden aufgezeichnet, festgehalten, verlieren ihre lebendige Kraft. Die ursprüngliche Religion kristallisiert in Organisationen und Institutionen, erstarrt zu Dogmen.

Anker Larsen: Der Stein der Weisen

Im Roman „Der Stein der Weisen“ lässt Anker Larsen Barnes, eine der Hauptfiguren, dieses Geschehen in folgendem Bild ausdrücken (in meiner Ausgabe aus dem mym-Verlag Band 1, S. 173f.):

„Ich bin auf der Jagd nach dem religiösen Gefühl.“

Dahl sah ihn verwundert an: „Ich dachte, du wärst Freidenker?“

„Das eine schließt das andere ja nicht aus.“

„Die Religion -„, begann Dahl, aber Barnes unterbrach ihn:

„Tu mir einen Gefallen und vermenge nicht Religion und religiöses Gefühl. Und vergiss nicht, dass das Christentum nicht die einzige Religionsform auf dieser Erde ist – und auch nicht die letzte bleiben wird. Das religiöse Gefühl scheint genauso unausrottbar zu sein wie der Selbsterhaltungstrieb und der Fortpflanzungstrieb; es hat immer Religionen geschaffen und wird es auch in Zukunft tun. Und Gott mag wissen, wohin es den Menschen führen könnte, wenn es nicht in Kirchen und Tempeln so schmählich misshandelt würde.“

„In Kirchen und Tempeln?“ fragte Dahl. „Du scheinst sagen zu wollen, dass das religiöse Gefühl in und außerhalb des Christentums -„

Barnes unterbrach ihn wieder:

„Es gibt nur ein einziges religiöses Gefühl, mein Lieber, und folglich in Wirklichkeit nur eine Religion.“

„Du hast mich doch erst kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass es mehrere gibt -„

„Ja, mehrere Religionsformen. Du kannst sie in Asien, Afrika, Europa, in allen Weltteilen finden, und du kannst sie zu allen Zeiten finden, diese Religionsformen. Und die Religionshistoriker können sie sezieren und kommentieren und rubrizieren, das ist gleichgültig, diese Formen sind nur tote Ergebnisse vom Leben, das sie schuf und anwandte, Schlangenhäute, die abgestreift sind und zeigen, dass die Schlange hier gewesen ist. Aber die Schlange selbst, das religiöse Gefühl, die vergessen die gelehrten Herren über der interessanten Haut. Mich aber interessiert die Schlange selbst.“

"Natternhemd" (leere Haut, Exuvie) einer Ringelnatter.
Quelle: Wikimedia Commons; Urheber: Christian Fischer
„Natternhemd“ (leere Haut, Exuvie) einer Ringelnatter.
Quelle: Wikimedia Commons; Urheber: Christian Fischer

„Und du meinst, es gibt nur eine Schlange?“ fragte Dahl.

„Ja“, antwortete Barnes, „aber sie sieht natürlich immer ein bisschen verschieden aus, je nach ihrem Alter und ihrer Entwicklung.“ […]

Anker Larsen, Der STein der Weisen, Band 1, Kap. 24 „Mutter und Tochter“

Das religiöse Gefühl geht in der Religion verloren

Wie kommt es, dass das ursprüngliche religiöse Gefühl im Laufe der Zeit in einer institutionalisierten Form verloren geht? Anker Larsen lässt seine Romanfigur Barnes es einige Seiten weiter so beschreiben:

„Als der Galiläer tot war und der Welt als sein Neues Testament hinterlassen hatte, dass Gott die Liebe ist, kamen diejenigen, die ihn gekannt hatten und sagten: „Der Galiläer sagte, dass Gott die Liebe ist; wer das glaubt, wird erlöst“ – und das ist wahr, weil der Glaube eine innere Handlung wird, die Liebe erweckt, die wiederum die Kraft des Glaubens vermehrt – und weiter sagten sie: „Der Galiläer war selbst die Liebe, der Galiläer war Gott.“ Damit haben wir nun das Christentum, die Religion.

Etwas später wurde daraus: „Gott ist die Liebe, der Galiläer ist Gott; war das nicht glaubt, der soll verbrannt werden.“ Das war die Kirche.

Das religiöse Gefühl, das Liebe zu Gott sein sollte, da man wohl kein anderes Gefühl für die Liebe hegen kann als gerade Liebe – das wurde zur Liebe zur Kirche und zum Hass gegen Ketzer. Die Religion wurde zur Theologie.“

Anker Larsen, Der STein der Weisen, Band 1, Kap. 24 „Mutter und Tochter“

Gibt es Menschen, die diesem Verfall des ursprünglichen Impulses entgehen?

„Nun gab es aber Menschen, die nicht von Dogmen leben konnten, Menschen, in denen das religiöse Gefühl in beständig zunehmender Reinheit lebte und wuchs. Das waren die Mystiker. Für sie waren Dogmen und Lehrsätze noch nicht einmal so viel wert, dass sie sich ihnen widersetzen mochten.

Still und ohne reformatorischen Spektakel wuchsen sie durch das Dach der Kirche hindurch; so hoch, dass selbst die Vorstellung von Gott in ihren Augen gotteslästerlich wurde. Sie begnügten sich damit, ihn ungesehen zu lieben.

Sie solltest Du studieren. Bei ihnen kannst du vielleicht das finden, was du suchst.“

Anker Larsen, Der STein der Weisen, Band 1, Kap. 24 „Mutter und Tochter“

Beispiele für solche Mystiker: Jacob Böhme, Johannes Tauler, Karl von Eckartshausen, Meister Eckhart

Weitere Beiträge zu Anker Larsen

Zu den Büchern (bezahlte Links):

Der Stein der Weisen, Band 1
Der Stein der Weisen, Band 2

Übersicht über spirituelle Romane

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