Geistiges Feuer: Spirituelle Läuterung

Frei nach dem Goethe-Wort „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ (aus Faust II) kann man das sichtbare Feuer als Bild für das unsichtbare geistige Feuer betrachten. Wer sich für geistiges Feuer öffnet, sich darauf abstimmt, erfährt Läuterung.

Feuerriten in den Upanishaden

Rote Und Orangefarbene Sonneneruption. Quelle: pexels.com, Pixabay
Rote Und Orangefarbene Sonneneruption. Quelle: pexels.com, Pixabay

In den Upanishaden, heiligen Schriften der Hindus, geht es an mehreren Stellen um Feuer und Feuerriten. So ist etwa in der Pranagnihotra-Upanishad die Rede von einem Feueropfer. Dabei wird ein Bezug zum Daksinafeuer im Herzen hergestellt und die Nase als „nördlicher Feuerherd“ beschrieben. Wikibrief enthält eine ausführliche Aufschlüsselung des menschlichen Körpers als Tempel für Opfergaben. Auch die Mundaka-Upanishad des Atharvaveda erwähnt vielfach das Feuer. In der Chandogya-Upanishad versorgt ein Schüler 12 Jahre lang die heiligen Feuer seines Lehrers, bis er schließlich von den Feuern selbst unterrichtet wird. Die Maitrayani-Upanishad erwähnt die Feuerschichtung. In der Katha-Upanishad wird Nachiketas vom Tod über das himmlische Feueropfer unterrichtet.

Äußere Regeln und innere Reifung

Jede Religion steht vor der gleichen Herausforderung: Lehrer zeugen aus direkter innerer Erfahrung. Sie ziehen Schüler an und versuchen, ihnen zur gleichen inneren Erfahrung zu verhelfen. Die Hinweise, die ursprünglich von lebendigen, dynamischen Impulsen ausgehen, können allmählich erstarren, zu äußerlich verstandenen Regeln kristallisieren.

Die Brahma-Upanishad zeugt von der Kenntnis dieser Gefahr. Es gibt Anweisungen für Brahmanen, eine Opferschnur anzulegen. Der folgende Abschnitt verdeutlicht, wie diese Opferschnur zu verstehen ist:

Upanishaden - Geheimlehre der Inder, Buchcover
Upanishaden – Geheimlehre der Inder, Buchcover

Er lege die Opferschnur an, das höchste Mittel der Läuterung, mit Prajapati zusammen einst entstanden, das Leben gewährende, beste, reine. Die Opferschnur sein Kraft und Glut. Nachdem er sich bis auf den Schopf geschoren, mag ein Weiser die äußere Opferschnur ablegen. Das unversiegliche höchste Brahman ist die Opferschnur, die er anlegen soll …
Wer diese kennt, ist ein Weiser, der den ganzen Veda studiert hat. Der Yogin, der den Yoga kennt und die Wahrheit erschaut, soll sie tragen. Die äußere Opferschnur mag der ablegen, der dem höchsten Yoga sich hingibt. […]
Die, die die Kenntnis als Opferschnur tragen und die Opferschnur im Herzen bewahren, das sind in der Welt die wahren Kenner der Lehre und die Träger der wahren Opferschnur … Diejenigen Brahmanen u. a., die sich den vedischen Zeremonien hingeben, die sollen die gewöhnliche Opferschnur tragen, denn sie wird als Teil des Werkdienstes gelehrt.

UPANISHADEN – DIE GEHEIMLEHRE DER INDER. MÜNCHEN 1994, S. 227

Die Yoga-Lehrerin Annette Bauer (Yoga Xperience) schreibt:

In den Veden (älteste Schriften der Menschheit) erfährt man etwas über Opferrituale, -sprüche und -hymnen an die Götter. In den Upanishaden geht es um das verborgene Wissen dahinter: Es geht also nicht mehr nur um äußerliche Rituale, sondern um einen inneren Prozess: den Weg der Erkenntnis.

Zum Thema Regeln vergleiche die folgenden Beiträge:

Anker Larsen, Der Bruder: Das Läuterungsfeuer

Eine moderne Erzählung über das Läuterungsfeuer, die mich sehr berührt hat, fand ich bei dem dänischen Schriftsteller Anker Larsen (1874 – 1957). „Der Bruder“ ist seinem letzten Werk „Hansen“ von 1949 entnommen. Dort begegnet ein alter Lehrer im Park einem Gralsbruder, der ihn in einige Geheimnisse einweiht. Wie sich herausstellt, hat die Begegnung und die Wanderung der beiden nur im Innern, im Bewusstsein des Lehrers stattgefunden. Hier ein Auszug:

„… Was fühlst Du?“
„Neugier.“
„Wonach?“
„Nicht nach etwas Bestimmtem. Ganz einfach nach allem.“
„Dann können wir gehen.“
„Wohin?“
„Ich will versuchen, dich in den mittelsten Augenblick zu führen.“
„Den mittelsten?“
„Ja, den, in dem alle kleinen Kinder leben.“

Der Lehrer beginnt allmählich wieder er selbst zu werden.

„In dem bin ich immer – kann man denn anders als dort sein? Da es wohl eine Unendlichkeit von Augenblicken gibt, so muss jeder einzelne Augenblick unweigerlich der mittelste sein.“
„Ganz richtig.“
„Und jedes lebende Wesen muss also immer im mittelsten sein.“
„Keineswegs. Gebunden an den Augenblick, der ist, bewegen sich alle von ihm weg, an einer Leine, die nie weit genug reicht – vorwärts, auf ein Ziel zu, wo man das zu erreichen hofft, wonach es einen gelüstet, zurück zu einer entschwundenen Freude oder zu einem Kummer, der einen getroffen hat, den man aber nicht missen möchte, oder nach allen möglichen Richtungen, zu Zerstreuungen, weil man das Verweilen nicht erträgt, nicht in sich selbst ruhen kann – und inzwischen fallen die Sekunden hinab wie welkes Laub, ungelebt bleibt das Leben der Menschen. Die meisten hasten vom Leben fort, während sie glauben, sich ins Leben zu stürzen.

Doch wir wollen zum Augenblick in der Mitte gehen, zu Gottes Augenblick, der alle Augenblicke, die je waren, in sich trägt und der schwanger ist mit all den Augenblicken, die noch kommen werden. Folge mir zum neuen Morgendämmern.“

Sie gehen weiter nach Osten, wo das Licht immer stärker wird, allmählich wird es dem Lehrer ein wenig schwer, es zu ertragen.

Der Gralsbruder sieht es, bleibt stehen, beobachtet ihn prüfend und sagt:

„Vorläufig kannst du nicht weiter gehen. Du gehörst noch auf diese Seite des neuen Tages.“

Der Lehrer steht da und schaut. Der neue Tag! Ja, die Sonne erfüllt den ganzen Raum vor ihm, ein lebendiges Licht von weißgoldenen Flammen.

Aber ganz vorne bewegt sich ja etwas dicht an diesen Flammen empor und wird von ihnen durchflutet, so dass er es kaum von dem lebenden Feuer unterscheiden kann. Er kann den Blick nicht davon lassen, und schließlich sieht er, dass es menschlichen Gestalten sind, wie er selbst, nur durchstrahlt, sodass alles in ihnen sichtbar ist; nichts ist verborgen. – Aber sie tun ja etwas, es sieht aus, als würfen sie etwas ins Feuer, wo es verschwindet – und danach gehen sie selbst durch die Flammen und er kann sie nicht mehr sehen.

„Was werfen sie denn ins Feuer?“ fragt er, und der Bruder antwortet:
„Alte Lumpen.“
„Lumpen?!“
„Gedanken, die sich gedacht, Taten, die sie getan, zu denen sie sich aber nicht mehr bekennen wollen. Sie werfen sie ab, und nun verbrennen sie und werden zu Nichts.“
„Was ist denn dieses Feuermeer?“
„Die All-Liebe.“
„Aber wenn sie das verbrannt haben, was sie von sich werfen, gehen sie ja selbst durchs Feuer. Was ist hinter dem Feuer, das du die All-Liebe nennst?“
„Das Leben.“
„Das Leben? Was ist denn auf dieser Seite, wo wir stehen – das, was wir Leben nennen, was ist denn das?“
„Ein langsames Geborenwerden, voller Freude und Leid. Dorthin musst du zurück und noch eine kurze Zeit dort bleiben.“
[…]

Anker Larsen, Der Bruder, Aus: Hansen (1949)

Upanishaden: Die Geheimlehre der Inder

Johannes Anker Larsen: Der Bruder

Hier gibt es weitere Beiträge zu den Upanishaden,
und hier eine Übersicht über spirituelle Sachbücher.

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Eine Antwort

  1. 1. April 2024

    […] sollen wir durch Yoga uns selbst verändern, sondern wir sollen quasi einen Gott bauen, oder christlich gesprochen: […]

Freue mich über Kommentare!