Ernst Jünger über Seelenmord und das Unzerstörbare im Menschen
Der deutsche Schriftsteller (auch Offizier und Insektenkundler) Ernst Jünger starb vor knapp 20 Jahren, kurz bevor er seine zweite Jahrhundertwende erleben durfte, im stolzen Alter von fast 103 Jahren (1895 – 1998). Nach dem, was ich bisher über ihn wusste, hatte ich nicht vor, mich eingehender mit ihm zu beschäftigen.
Jünger erhielt eine Reihe militärischer Auszeichnungen; Kritiker warfen ihm Gewaltverherrlichung vor. Eines seiner bekanntesten Werke war „In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“.
Kürzlich stieß ich jedoch auf ein faszinierendes Zitat, das eine ganz andere Seite zeigt. Es stammt aus dem Werk Der Waldgang von 1950/51. Er spricht darin über den Seelenmord und das Unzerstörbare im Menschen.
Auch wenn der Begriff Gnosis hier nicht verwendet wird, empfinde ich das als gnostische Sichtweise. Die Lösung wird nicht im Außen gesucht, bei einem externen Gott, sondern im Menschen selbst. Die Hoffnung, die sich darin ausdrückt, ist nicht spekulativ, nicht vage, sondern zeugt von einer unerschütterlichen Sicherheit. Das, was im Menschen der Ewigkeit angehört, ist unantastbar. Es kann lediglich verschüttet sein. Und was verschüttet ist, kann auch wieder freigelegt werden.
Gnostiker werden manchmal dafür kritisiert, dass ihre Lehren nicht neu sind, dass sie ein Konglomerat aus alten Lehren darstellen. Das kann auch nicht anders sein – wie Jünger es ausdrückt: „Räumt man das [Trümmer und Schutt im Brunnen] fort, so findet man im Grunde nicht nur die Quelle, sondern auch die alten Bilder vor.“
„Ob denn das Sein im Menschen überhaupt vernichtet werden kann? An dieser Frage scheiden sich nicht nur die Konfessionen, sondern auch Religionen – sie lässt sich nur aus dem Glauben beantworten. Man mag dieses Sein als das Heil, die Seele, die ewige und kosmische Heimat des Menschen erkennen – immer wird einleuchten, dass der Angriff auf diese Schicht dem finstersten Abgrund entstammen muss. Auch heute, wo die herrschenden Begriffe nur die Oberfläche des Vorgangs fassen, wird geahnt, dass Anschläge im Gange sind, die auf anderes als auf bloße Enteignungen oder Liquidierungen abzielen. Auf einer solchen Ahnung beruht der Vorwurf des ‚Seelenmords‘.
Ein solches Wort kann nur durch einen bereits geschwächten Geist geprägt werden. Es wird jeden unangenehm berühren, der eine Vorstellung von der Unsterblichkeit und den auf ihr sich gründenden Ordnungen besitzt. Wo es Unsterblichkeit gibt, ja, wo nur der Glaube an sie vorhanden ist, da sind auch Punkte anzunehmen, an denen der Mensch durch keine Macht und Übermacht der Erde erreicht oder beeinträchtigt, geschweige denn vernichtet werden kann. […] Die Panik, die man heute weithin beobachtet, ist bereits der Ausdruck eines angezehrten Geistes, eines passiven Nihilismus. […]
Demgegenüber ist es wichtig zu wissen, dass jeder Mensch unsterblich ist, und dass ein ewiges Leben in ihm seine Stätte aufgeschlagen hat, die unerforschtes und doch bewohntes Land für ihn bleiben, ja die er leugnen mag, doch welche keine zeitliche Macht zu brechen imstande ist. Der Zugang bei vielen, ja, bei den Meisten mag einem Brunnen gleichen, in welchen seit Jahrhunderten Trümmer und Schutt geworfen sind. Räumt man das fort, so findet man im Grunde nicht nur die Quelle, sondern auch die alten Bilder vor. Der Reichtum des Menschen ist unendlich größer, als er ahnt. Es ist ein Reichtum, den niemand rauben kann, und der im Lauf der Zeiten auch immer wieder sichtbar anflutet, vor allem, wenn der Schmerz die Tiefen aufgegraben hat.
Das ist es, was der Mensch wissen will. Hier liegt das Zentrum seiner zeitlichen Unruhe. Das ist die Ursache seines Durstes, der in der Wüste wächst – und diese Wüste ist die Zeit. Je mehr die Zeit sich ausdehnt, je bewusster und zwingender, aber auch je leerer sie in ihren kleinsten Teilen wird, desto brennender wird der Durst nach den ihr überlegenen Ordnungen.“
zitiert nach „Vom Sinn des Todes – Eine Anthologie“ (Broschüre der Stiftung Rosenkreuz, die Ende 2023 aufgelöst wurde)
Wieder ein Hinweis darauf, Menschen nicht vorschnell in eine Schublade zu stecken …
Hier geht’s zur Übersicht über spirituelle Sachbücher.
Noch jemand, der mit Ernst Jüngers Schriften Überraschungen erlebt. Schön! 🙂 Wenn du Jünger nochmals ganz anders kennenlernen möchtest, empfehle ich „Das Abenteuerliche Herz“.
Und noch etwas anderes. Ich kam eben auf dein Blog und fand den Artikel „Nicht nur der Islam …“, in dem du den Jihad als Prinzip vorstellst, als einen inneren Weg/ Entwicklungsweg. Darin scheinst du großes Verstehenspotential zu sehen.
Und dann lese ich im Artikel zu Ernst Jünger, „Nach dem, was ich bisher über ihn wusste, hatte ich nicht vor, mich eingehender mit ihm zu beschäftigen. (…) Jünger erhielt eine Reihe militärischer Auszeichnungen; Kritiker warfen ihm Gewaltverherrlichung vor.“ Er erhielt nicht eine Reihe, sondern DIE höchste Auszeichnung, die ein Soldat im (1.) Weltkrieg erhalten konnte, den Pour Le Mérite. So, das konnte ich mir nicht verkneifen. Was ich sagen wollte: Ist so jemand nicht prädestiniert, über den existentiellen Kampf nachzudenken, über das Wesen des Krieges und somit etwas über den Heiligen Krieg zu zeigen, das die meisten anderen mehr als heroische Metapher oder Abbild innerpsychischer Kämpfe kennen? Ich jedenfalls las diesen Artikel als eine Antwort auf die Fragen zum Jihad.
Hallo Knut,
danke für den Kommentar! Ja, die Verbindung zwischen Jünger und der spirituellen Sicht auf den Jihad liegt nahe. Und danke für den Lese-Tipp!