Jakob Böhme: Mehr als ein Mystiker
Man kann sich dem unsterblichen Kern in sich selbst auf verschiedenen Wegen nähern. Jakob Böhmes Schriften, allen voran sein Erstlingswerk Aurora oder Morgenröte im Aufgang, aber auch die Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens (De Tribus Principiis), stellen hohe Anforderungen an das Verständnis des Lesers. Es wird sie wohl nur derjenige ganz verstehen können, der selbst Zugang zu einer inneren Schau im Böhmeschen Sinne hat – und selbst dann bleibt eine Barriere: der Einfluss von vier Jahrhunderten auf die Sprache sowie Böhmes sehr eigene Art zu formulieren. Dem Autor dieses Beitrags jedenfalls erschließen sich Böhmes Werke, bei aller Faszination, nur begrenzt.
Glücklicher Weise sind Böhmes spätere Schriften, von denen einige in Christosophia – Ein christlicher Einweihungsweg (herausgegeben von Gerhard Wehr) veröffentlicht wurden, leichter lesbar. In Von wahrer Buße (De Poenitentia Vera) erweist sich der Görlitzer Schuster als Mystiker, indem er den Schwerpunkt vom Verstand auf das Gefühl verlagert und geradezu schwärmerisch ein Gespräch zwischen der sich sehnenden Seele (dem Bräutigam) und der Jungfrau Sophia (der Braut) wiedergibt.
In anderen Weisheitsschriften findet man die Sophia (Weisheit) eher als männlich konnotiert (Geist), die Seele als weiblich. Die Umkehrung des Geschlechter-Verhältnisses hier bei Böhme mag andeuten, dass man sich von irdischen Vorstellungen der Geschlechter lösen kann, um sich für die Geist-Seelen-Ebene zu öffnen.
Ein Gespräch zwischen Sophia (Braut) und Seele (Bräutigam)
Im Kapitel „Die Pforte des paradeisischen Rosengartens“ begegnet die Seele der Sophia und reagiert äußert verzückt:
Nun sei dir, o großer Gott, in deiner Kraft und Süßigkeit, Lob, Dank, Stärke, Preis und Ehre, dass du mich von dem Treiber der Angst erlöset hast. O du schönes Lieb, mein Herze fasset dich, wo bist du so lange gewesen? Mich deucht, ich wäre in der Hölle und in Gottes Grimm.
O holdseliges Lieb, bleib doch bei mir, sei doch meine Freude und Erquickung. Führe mich doch auf rechter Straße. In deine Liebe ergebe ich mich. […]
Welch Glück – hier muss bereits ein Durchbruch erfolgt sein, denn die Jungfrau Sophia antwortet durchaus sehr positiv:
Mein edler Bräutigam, meine Stärke und Macht, bist mir zu vielen Malen willkommen. Wie hast du meiner so lange vergessen, dass ich in großem Trauren vor deiner Tür stehen müssen anklopfen? Habe ich dir doch allezeit geflehet und gerufen.
Warum waren Seele und Weisheit, Braut und Bräutigam so lange getrennt? Die Seele hatte sich auf irdisches, vergängliches Glück gerichtet und damit selbst vom wahren Leben abgetrennt:
Deine Ohren waren aus meinem Lande gegangen. Mein Licht konntest du nicht sehen, denn du wandeltest im finstern Tal. Ich bin nahe bei dir gewesen und habe dir stets geflehet, aber deine Sünde hielt dich im Tode gefangen, dass du mich nicht kanntest. Ich kam in großer Demut zu dir und rief dir, aber du warest in der Macht des Zornes Gottes reich und achtest meiner Demut nicht. Du hattest dir den Teufel zum Buhlen [Geliebten] genommen. Der hat dich also besudelt und sein Raubschloss der Eitelkeit in dir aufgebauet und dich ganz von meiner Liebe und Treue abgewendet in sein gleißnerisches falsches Reich, darinnen hast du viel Sünde und Bosheit gewirket und deinen Willen von meiner Liebe abgebrochen, und hast mir die Ehe gebrochen und eine fremde Buhlschaft gepflogen und mich, deine dir von Gott gegebene Braut, lassen im verblichenen Wesen ohne Stärke deiner Feuersmacht stehen.
Sophia ist nicht nachtragend, sie ist bereit, die mystische Hochzeit zu vollziehen:
O edler Bräutigam, bleib doch mit deinem Angesichte vor mir stehen und gibt mir deine Feuerstrahlen. Führe deine Begierde in mich und zünde mich an, so will ich dir aus meiner Sanftmut deine Feuerstrahlen in ein weißes Licht verwandeln und meine Liebe durch deine Feuerstrahlen in deine Feueressenz einführen, und will dich ewig küssen.
Oh mein Bräutigam, wie ist mir so wohl in deiner Ehe. Küsse mich doch mit deiner Begierde, in deiner Stärke und Macht, so will ich dir alle meine Schöne zeigen und dich mit meiner süßen Liebe und hellem Licht in deinem Feuerleben erfreuen. Alle heiligen Engel erfreuen sich jetzt mit uns, dass sie uns wieder in der Ehe sehen.
Von wahrer Buße: Mehr als schwärmerische Mystik
Man könnte annehmen, dass die spirituelle Suche nun ihre Erfüllung findet und alles Leid sich in Verzückung und Wohlgefallen auflöst. Doch Jakob Böhme ist mehr als ein mystischer Schwärmer, er unterscheidet sehr genau zwischen dem höheren, geistigen, unsterblichen Wesen und den gefallenen, sterblichen, unvollkommenen Anteilen des Menschen, die sich auch auf einen gewissen Bereich der Seele erstrecken.
Ein Wunsch der Seele ist noch unerfüllt: Sie hätte gern die volle Verfügung über die schöpferische Macht der Weisheit – bei Böhme als Perle angedeutet (Zitate aus verschiedenen Stellen des Dialogs zusammengetragen):
O edles Lieb, gib mir doch deine süße Perle; lege sie doch in mich! […]
Schenke mir doch dein Perlenkränzlein und bleib in mir. Sei doch mein Eigentum, dass ich mich ewig in dir erfreue. […]
Ach holdseliges Lieb, gib mir doch deine Perle, dass ich ewig möchte in solcher Freude stehen.
Nach mehreren Bitten antwortet Sophia schließlich:
Mein lieber Buhle und treuer Schatz, du erfreuest mich hoch in deinem Anfange. Ich bin ja durch die tiefen Tore Gottes zu dir eingebrochen, durch Gottes Zorn, durch Hölle und Tod in das Haus deines Elendes, und habe dir meine Liebe aus Gnaden geschenkt und dich von Ketten und Banden erlöset, daran du feste angebunden warest. Ich habe dir meine Treu gehalten. Aber du bittest jetzt ein schweres von mir, das ich nicht gerne mit dir wage. Du willst mein Perllein zum Eigentum haben. Gedenke doch, mein lieber Bräutigam, wie du es vorhin [beim Sündenfall] in Adam verwahrloset hast. Dazu stehest du noch in großer Gefahr und wandelst in zweien gefährlichen Reichen. Als in deinem Feuer-Urstand wandelst du im Lande, da sich Gott einen starken eiferigen Gott und ein verzehrend Feuer nennet. Im andern Reiche wandelst du in der äußeren Welt in der Luft, im eiteln verderbten Fleisch und Blut, da der Welt Wollust mit des Teufels Angriffen alle Stunde über dich herrauschen. Du möchtest in deiner großen Freude wiederum Irdigkeit in meine Schöne einführen und mein Perllein verdunkeln. Auch möchtest du stolz werden wie Luzifer ward, als er das Perllein zum Eigentum hatte, und möchtest dich von Gottes Harmonie abwenden. So müsste ich hernach ewig meines Buhlen beraubt sein.
So teilt die Sophia der Seele ihre Antwort ebenso bestimmt wie liebevoll mit:
Ich will mein Perllein in mir behalten und will in deiner verblichenen und jetzt in mir wieder lebendig gemachten innern Menschheit im Himmel in dir wohnen und mein Perllein dem Paradeis vorbehalten, bis du diese Irdigkeit von dir ablegest. Alsdann will ich dirs zum Eigentum geben. Aber mein Antlitz und süße Strahlen des Perlleins will ich dir die Zeit dieses irdischen Lebens gerne darbieten. Ich will mit dem Perllein im innern Chor wohnen und deine getreue liebe Braut sein. In dein irdisch Fleisch vermähle ich mich nicht, denn ich bin eine Königin der Himmeln und mein Reich ist nicht von dieser Welt. Jedoch will ich dein äußer Leben nicht wegwerfen, sondern ofte mit meinen Liebesstrahlen heimsuchen, denn deine äußere Menschheit soll wiederkommen. Aber das Tier der Eitelkeit will ich nicht haben. Gott hat das auch nicht aus seinem Fürsatz also grob und irdisch geschaffen, sondern deine Begierde hat diese viehische Grobheit in Adam durch Lust gefasset aus allen Essentien der aufgewachten Eitelkeit irdischer Eigenschaft, darinnen Hitze und Kälte, dazu Wehetun und Feindschaft, auch das Zerbrechen stehet.
Drei Wege, die zusammen gehören: Einsicht, Gefühl und Tat
Jakob Böhme zeigt, dass sein Zugang zum Innersten nicht nur über abstrakte, teils schwer zugängliche Gedanken führt – er verfügt auch über eine mystische Seite, wobei er hier von der Seele ausgeht und nicht von der suchenden Persönlichkeit. Während das mystische Gefühl zu Einheit und Liebe strebt, ist der von der Weisheit des Geistes erleuchtete Verstand in der Lage, die Ebenen deutlich zu unterscheiden und die verschiedenen Aspekte des menschlichen Systems an ihren Platz zu stellen.
Die dritte Komponente des Weges ist die befreiende Tat: Das schöpferische Wirken mit den höheren Kräften, die sich in allen Gebieten offenbaren wollen. Die Weisheit (Sophia) spricht zur Seele:
Nun, mein lieber Buhle und Bräutigam, gib dich mir in meinen Willen. Ich will dich in diesem irdischen Leben in deiner Fährlichkeit [Gefährdung] nicht verlassen, wenn dich gleich wird Gottes Zorn überziehen, dass dir wird bange sein und meinest, ich habe dich verlassen, so will ich doch bei dir sein und dich verwahren, denn du kennest dich nicht, was dein Amt ist. Du sollst diese Zeit wirken und gebären. Du bist die Wurzel dieses Baumes, aus dir sollen Zweige geboren werden. Ich dringe durch deine Zweige in ihrem Saft mit aus und gebäre Früchte auf deinen Ästen, und das weißt du nicht; denn der Höchste hat mich also geordnet, bei und in dir zu wohnen.
Auch wenn jeder Sucher seinen individuellen Zugang zum Höchsten hat, geht es im Laufe des Weges darum, Haupt, Herz und Hand (Verstand, Gefühl und Tat) in Balance zu bringen und dem höheren Willen unterzuordnen.
Jakob Böhme: Werke. Die Morgenröte im Aufgang / De Signatura Rerum
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