Was ist ein Heiliger? Leonard Cohen
Habe kürzlich Leonard Cohens Roman „Schöne Verlierer“ gelesen, der in einem gemeinsamen Band mit einigen Songtexten und Gedichten und dem Roman „Das Lieblingsspiel“ erschien.
Spirituell fand ich ihn nicht so ergiebig, wie ich bei diesem Autor gehofft hatte. Allerdings kann er wirklich gut schreiben, nicht nur Songtexte. Einige Stellen bereiteten mir großen Lesegenuss.
In einem Abschnitt geht es ganz unvermittelt um die Frage: Was ist ein Heiliger? Cohen schreibt dazu:
Was ist ein Heiliger? Ein Heiliger ist jemand, der eine entlegene menschliche Möglichkeit verwirklicht hat. Es ist unmöglich zu sagen, was diese Möglichkeit ist. Ich glaube, sie hat etwas mit der Kraft der Liebe zu tun. Mit dieser Liebe verbunden zu sein, bedeutet, dass man einen gewissen Gleichmut im Chaos des Lebens aufrechterhalten kann. Ein Heiliger kann das Chaos nicht entwirren, wenn er das könnte, hätte sich die Welt schon vor langem geändert. Ich glaube nicht, dass ein Heiliger das Chaos auch nur für sich selbst entwirrt, denn es ist etwas Anmaßendes und Kriegerisches in der Vorstellung von einem Menschen, der das Weltall in Ordnung bringt.
Es ist ein gewisser Gleichmut, der seinen Ruhm ausmacht. Er nimmt die Hänge wie ein entwichener Ski. Sein Lauf ist eine Liebkosung für den Hügel. Seine Spur ist eine Zeichnung im Schnee im jeweiligen Augenblick des besonderen Zusammentreffens mit Wind und Felsen. Etwas in ihm liebt die Welt so, dass er sich den Gesetzen der Schwerkraft und des Zufalls unterwirft.
Er denkt nicht daran, mit den Engeln herumzuschweben, er registriert mit der Genauigkeit eines Seismographen den Zustand der ganz und gar beschissenen Landschaft. Sein Haus ist gefährdet und begrenzt, aber er ist in der Welt daheim. Er kann die Erscheinungsformen menschlicher Wesen lieben, die schönen und verschlungenen Erscheinungsformen des Herzens.
Es ist gut, solche Menschen unter uns zu haben, solche ausgleichenden Ungeheuer der Liebe. Das macht mich glauben, dass die Nummern im Sack tatsächlich mit den Nummern auf den Losen übereinstimmen, die wir so teuer bezahlt haben, und dass der Gewinn also keine Illusion ist.
Schreiben kann er … In dem Roman herrschen ansonsten zwei Themen vor: Sexualität und Sinnlichkeit, sowie die indianische Geschichte, exemplarisch aufgezeigt an der historisch belegten Kateri Tekakwitha, die von Jesuiten getauft und nach ihrem frühen Tod als Heilige verehrt wurde. Offenbar hing ihre rasch verfallende Gesundheit mit strenger Selbstkasteiung zusammen.
Auch wenn ich Spiritualität anders verstehe und es für sinnvoll halte, den von Gott geschenkten Körper gesund zu erhalten und das Leben anzunehmen – die Leseerfahrung ist ein Impuls, mich mal wieder mehr mit Leonard Cohen zu beschäftigen.
Bisher haben mich vor allem seine spirituellen Songs beeindruckt:
- Going Home: Heimkehren ohne Last und Vision
- Anthem: Durch die Risse dringt das Licht ein
- Different Sides: Humanismus und gnostische Spiritualität
- Avalanche: Die Stimme aus dem Innersten
- Ballad of the Absent Mare: Der Einweihungsweg
Siehe auch den Beitrag Leonard Cohen über das Kreuz und die Kreuzigung.
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Zur Übersicht über Spiritualität in der Rock- und Popmusik
Lesestoff (Hinweis: bezahlte Links):
Das Lieblingsspiel – Gedichte/Lieder – Schöne Verlierer
»Hallelujah«, Leonard Cohen!: Wie Leonard Cohen Gott lobte, Jesus suchte und unsere Herzen berührt
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