Café – Wo das Leben sich trifft: Spiritueller Film
Über weite Strecken hat mir Café – Wo das Leben sich trifft (2010) nicht gefallen – ich wollte einen schönen Abend haben, und man sah das Unheil sich aufbauen … Am Ende war ich dann fasziniert und fühlte mich sogar erhoben.
Den Trailer habe ich nur auf Englisch gefunden, den Film selbst gibt es zur Zeit kostenlos in Deutsch auf Youtube (siehe weiter unten).
Die ganze Welt ist eine Bühne … ein Café
Die Idee ist sympatisch einfach angelegt: Der ganze Film spielt im selben Café – mit Ausnahme weniger Augenblicke, die sich unmittelbar vor dem Café ereignen. Das erinnert an Shakespeare’s
All the world’s a stage
and all the men and women merely playersDie ganze Welt ist eine Bühne
Quelle: William Shakespeare (1564-1616),
und die Männer und Frauen nur Schauspieler
As You Like It (Wie es Euch gefällt)
Siehe auch Jethro Tulls Skating Away on the Thin Ice of the New Day: Hast Du auch manchmal das Gefühl, alle seien auf der Bühne, und Du wärst der einzige Zuschauer?
So hat man Zeit, sich in Ruhe mit den Charakteren vertraut zu machen: den Thekern Claire (Jennifer Love Hewitt) und Todd (Daniel Eric Gold), dem Computerfreak Craig (Hubbel Palmer) und dem Drogendealer / Immobilienmakler Glenn (Jamie Kennedy). Es gibt einen verheirateten Mann, der sich auf eine Romanze einlässt, einen verantwortungsbewussten Polizisten, eine liebevolle Sozialarbeiterin, einen etwas mysteriösen Schriftsteller, und plötzlich … tritt Gott in Erscheinung.
Gott: Ein junges Mädchen (11-12 Jahre) als Programmiererin
Craigs Computer wird gehackt: Plötzlich spricht ein junges Mädchen auf dem Bildschirm mit ihm – Elly. Craig reagiert zunächst unwirsch, er hat schließlich zu tun. Das ist typisch für den Beginn eines spirituellen Weges: Die Impulse aus einer höheren Sphäre stören den gewohnten Ablauf und kommen im – vermeintlich – ungünstigen Moment (wobei es aus Craigs Sicht vermutlich keinen besser passenden Moment gegeben hätte). Elly erweist sich als die Schöpferin des ganzen Cafés und verrät Craig: Er ist nur ein Avatar, eine Rolle, und sie die Programmiererin.
Was verrückt klingt, hat mir gefallen: So können mit filmischer Vereinfachung wesentliche Lebensfragen aufgeworfen werden. Etwa: Kann / darf / soll Gott eingreifen, wenn Menschen (Avatare) Leid erfahren? Worin liegt der Sinn des Leidens? Wie können sich die Menschen ihrer Situation als Rollenspieler bewusst werden – zunächst Craig, der das dann auch Claire sagen soll?
Filme mit ähnlicher Grundidee
Die Idee, dass das uns vertraute Leben nicht das „wahre, echte“ Leben darstellt, ist nicht neu und wurde schon oft verfilmt. Ich fand sie hier jedoch originell genug umgesetzt, um den Film interessant zu machen – schließlich sind die Fragen, die damit aufgeworfen werden, essentiell und nicht so trivial zu beantworten. Ich konnte mich gut darauf einlassen, die Szenerie symbolisch zu sehen und damit als Hilfe, Zugang zu den wesentlichen Lebensfragen zu finden, die im Trubel des Alltags leicht aus dem Fokus rücken.
Ähnliche Filme sind zum Beispiel Truman Show, Matrix (siehe auch hier) und 13th Floor. Die Idee, Gott als Person auftreten zu lassen, wurde auch in Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott umgesetzt. Das finde ich problematisch, wenn man die Vorstellung wörtlich ernst nimmt. Sowohl in Die Hütte als auch hier sehe ich diese Gefahr nicht. In Die Hütte tritt Gott in unterschiedlicher Gestalt auf und hier ist das sehr junge Mädchen genügend weit vom Klischee des alten weis(ß)en Mannes mit dem langen Bart entfernt – eine höhere Kraft zeigt sich dem Menschen eben in einer Form, die er wahrnehmen kann.
Der Weg zur Überwindung des Leidens
Als die Ereignisse aus menschlicher Perspektive einen tragischen Verlauf nehmen, fragt Craig, ob es einen Weg gibt, dieses Leiden zu überwinden. Ein direkter Eingriff („Alles wird einfach gut“) kommt nicht in Frage. Die Menschen handeln, auch wenn sie Avatare sind, in einem komplexen Geflecht aus Ursachen und Wirkungen (Karma), das sich nicht per Knopfdruck ändern lässt, und machen darin wertvolle Erfahrungen.
Die „Lösung“, die Gott Craig vorschlägt, ist so radikal wie spirituell: Er muss sein eigenes Leben opfern. Es wird sehr deutlich, dass dieser „mystische Tod“ nichts mit dem Tod des Stoffkörpers zu tun hat – es geht um ein anderes Sterben, wie es etwa in dem Zitat angedeutet wird:
Wer nicht stirbt, bevor er stirbt,
verdirbt, wenn er stirbt.Positiv gewendet:
Wer stirbt, bevor er stirbt,
Mehreren Autoren zugeschrieben, u. a. Jakob Böhme, Abraham a Sancta Clara, Angelus Silesius
stirbt nicht, wenn er stirbt.
Selbstüberwindung
Das erinnert an die Bibel, etwa Matthäus 16:
Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren;
wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.
Was widersprüchlich klingen mag, wird verständlicher, wenn man zwei Ebenen unterscheidet: Das Leben in der „Scheinwelt“, im Café, als Avatar, und den ursprünglichen Lebensimpuls aus einer höheren Sphäre, der dahintersteht. Wer bereit ist, das Leben in der Scheinwelt, mit allen vergänglichen Zielen, die man darin haben kann, preiszugeben, der kann ein höheres Leben gewinnen: das Leben der Seele, die sich mit dem Geist verbindet. Diese im Grunde simple Idee steckt im Kern vieler religiöser und spiritueller Lehren.
Ohne das Ende ganz verraten zu wollen: Es zeigt sich, dass alle nur eine Rolle gespielt haben.
In einer herrlichen Szene verdeutlicht Elly / Gott Craig, dass im Grunde alle verbunden sind, sich aber nicht mehr daran erinnern und sich als getrennte Wesen empfinden (im Film unten ab 1h : 09 min): Aus Zuckerstreuseln formt sie Bilder, die sich schließlich zu einem Kristall verdichten.
Wie innen, so außen
Noch klarer wird die Situation für mich mit dem Gedanken: Wie innen, so außen. Craig ist die Hauptfigur – im Grunde spielt sich der gesamte Film in seinem Bewusstsein ab. Das Café ist seine kleine Welt, sein Mikrokosmos. Während er glaubt, die Situationen nur als mehr oder weniger unbeteiligter Beobachter zu betrachten, sind alle Figuren Aspekte seiner selbst. In der Selbstüberwindung findet er zur höheren Einheit, er überwindet das getrennte Bewusstsein des Avatars, und es entsteht eine vorher nicht geahnte Harmonie, in der die verschiedenen Anteile seines Wesens bewusst zusammenwirken und sich als Teile eines „stimmigen“ Ganzen begreifen, anstatt sich in Schicksalswirrungen zu verstricken. Erst dann kann er seine Talente in befreiendem Sinn einbringen.
Ein ähnliches Bild hat Leonard Cohen in Ballad of the Absent Mare beschrieben. Anfangs ist alles in Aufruhr: Ein Fluss tritt über die Ufer, Straßen sind überflutet, Brücken zerstört. Später, mit gewachsenem Bewusstsein, wird es friedlich: Die Sonne sendet wärmende Strahlen, eine sanfte Brise streicht über die Weidenbäume.
Dieses neue Bewusstsein am Ende entspricht dem Truman, der die künstlich errichtete Kuppel, die Scheinwelt der Fernsehserie, verlässt und ins Freie tritt. Ähnliche Wechsel der Bewusstseinsebene werden auch in Matrix und 13th Floor vollzogen.
Persönlichkeit und Seele
Wenn man Claire als die Seele des Cafés sieht und Craig als die Persönlichkeit, dann gibt die Persönlichkeit der Seele Raum, indem sie sich von der Identifikation mit dem Avatar löst. Die Rollen der Figuren kann man als Verhaltensmuster, Gewohnheiten, Prägungen sehen, die uns in bestimmten Bahnen festhalten. Im Film die Rolle des Polizisten, die Rolle des rücksichtslosen Geschäftsmannes, … Auf diese Weise können sich Talente nicht entfalten, Potenziale bleiben ungenutzt, Menschen handeln quasi automatisch: So leben wir nicht, vielmehr werden wir gelebt. Auch die liebevolle Sozialarbeiterin kann das drohende Unheil nicht verhindern – vielleicht ein Bild für Humanismus, der helfen will, ohne die tieferen Ursachen des Leidens beseitigen zu können. Sie weiß, dass die Lage in ihrem Viertel nicht grundsätzlich besser werden wird. (Siehe dazu den Beitrag über Leonard Cohens Different Sides.)
Wer schon einmal erlebt hat, wie sich solche Muster auflösen, kennt die Kraft der Veränderung, die dadurch frei wird. Bisher immer wiederkehrende Situationen ändern sich, Konflikte mit anderen lösen sich auf … Das geschieht in aller Regel nicht auf einmal, sondern in vielen kleinen Bewusstseinsschritten. Ein schöner Film zur Befreiung aus immergleichen Mustern ist Und täglich grüßt das Murmeltier.
Die Seele belebt das Café, sie hat für alle ein Lächeln, eine liebevolle Geste, eine milde Gabe übrig – mit einer Ausnahme: Dem reinen Ego-Aspekt, der skrupellos alle und alles zum eigenen Vorteil manipulieren will. Wo dieses Ego dominiert, ist kein Raum für die Seele. Die irdischen Schätze, die dieses Ego sammelt und anzubieten hat, können die Seele nicht erquicken – sie lehnt das „dreckige Drogengeld“ ab (ab 57 min). Nun ist das Ego entlarvt, bloßgestellt – und wird zum offenen Feind der Seele – ähnlich wie Herodes zum Feind des Jesus-Kindes wurde.
Solange Craig nur als Avatar handelt, bleibt die Seele in ihrer unglücklichen Beziehung gefangen – ein Bild für die Liebe zum Irdischen, Vergänglichen. Sie ist der Wechselhaftigkeit des Lebens ausgesetzt, findet keine Erfüllung und ist selbst vergänglich. Durch die Auflösung der Identifikation mit dem Avatar wird die Seele frei für eine höhere Liebe, die ihrem wahren Wesen entspricht. Im spirituellen Sinn kommt es dann zur „mystischen Hochzeit“ von Braut und Bräutigam, Seele und Geist, wie sie zum Beispiel Estas Tonne in Who am I andeutet.
Für mich ist das Wie innen, so außen sehr real und durchaus auf mein Leben übertragbar. Ich kann im Außen nur das wahrnehmen, was eine Entsprechung zu meinem Inneren hat. Wenn ich mich über jemanden ärgere, macht sich ein Aspekt in mir bemerkbar. Solange ich ihn im Außen lösen will, scheitere ich. Erst wenn ich diesen Aspekt als Teil von mir anerkenne und integriere, kann ich aufhören, ihn zu bekämpfen.
Der Cafébesitzer – das Höhere Selbst
Im Verlauf des Films wird auch der zuvor unbekannte Cafébesitzer enttarnt – ein schönes Bild für das erwachende Bewusstsein, das immer mehr Zusammenhänge aus dem Unterbewussten hervor holt und durchschaut. Den Cafébesitzer kann man als das Höhere Selbst / Aurische Wesen sehen, ähnlich dem Casinobesitzer in Revolver. Seine Rolle stimmt wörtlicher mit der Situation des Menschen überein, als man im ersten Moment meinen möchte: Er ist Schriftsteller, er beobachtet genau und schreibt alles auf, er verfügt über einen enormen Erfahrungsschatz und durchschaut Situationen wie die Romanze. Den Menschen kann man sich vorstellen als Persönlichkeit in einem magnetischen Ring, der ihn umgibt und der den Erfahrungsschatz nicht nur dieses Lebens, sondern auch der Vorgänger (früheren Inkarnationen) enthält. So müssen wir bestimmte Dinge nicht mehr ausprobieren, bestimmte Erfahrungen nicht mehr machen, weil sie bereits aufgezeichnet sind.
Solange Craig sich voll mit seinem Avatar identifiziert, bleibt alles beim Alten – der Cafébesitzer bleibt unerkannt im Hintergrund und will nicht gestört werden. Erst wenn Craig die Wahrheit über seine Situation herausfinden will, sich von Elly leiten lässt und sich für höhere Einsichten öffnet, entsteht die Möglichkeit, die ganze Café-Situation einschließlich des Besitzers radikal zu verändern. Dann wird auch der Ego-Aspekt transformiert, er löst sich von seiner Rolle und kann zum Diener der Seele werden.
Es ist der Geistaspekt, die wahre Liebe der Seele, der das Höhere Selbst enttarnt (1h : 15 min). Die Persönlichkeit (Craig) kann das nicht aus eigener Kraft leisten, sie untersteht, ohne sich dessen bewusst zu sein, dem Höheren Selbst.
Mit dem Erkennen des Höheren Selbstes ist die Transformation bereits im Gange, auch schon vor der Krönung durch das Selbstopfer der Persönlichkeit (Craig). Der irdische Aspekt, der die Seele festhalten will (der „böse“ Freund Claires) kann sie nicht mehr finden. Sie ist nicht mehr „nach Hause“ gekommen, sie löst sich aus den Bindungen an die Materie. Sie ist nicht mehr wahrnehmbar, bis sie nach der Neuschöpfung der gesamten Situation in neuem Gewand erscheint. Das erinnert an den Herrn der Ringe und die Wandlung des Zauberers von Gandalf dem Grauen zu Gandalf dem Weißen.
Somit vollziehen sich zwei freudige Opfer: das der Persönlichkeit (Craig) für die Seele, und das der Seele für den Geist.
Hier der ganze Film:
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